Das Wispern der Schatten - Roman
und von hinten, als er sich in die Erdspalte schob. Er wusste, dass durchaus die Gefahr bestand, dass er dort stecken bleiben würde, aber er beschloss, dass das immer noch besser war, als dem Heiligen oder seinen Helden die Stirn bieten zu müssen. Er zwängte sich immer tiefer ins Herz des Hügels. Die Erde wurde weich und dann wulstig und fleischig wie das Hirn der Jagdbeute, die sein Vater manchmal nach Hause brachte.
Jillan fand im Kern des Hügels eine große, widerhallende Höhle. In ihrer Mitte stand eine seltsam beleuchtete Statue. Sie war grau und regte sich wie die meisten Statuen nicht, aber ihre Gliedmaßen waren ungewöhnlich dünn, und anders als jede Statue, die er bisher gesehen hatte, schien sie zu schweben. Der große Kopf wurde nur von einem spindeldürren Hals getragen, was dafür sprach, dass der Stein, aus dem sie bestand, unglaublich widerstandsfähig war.
Das Gesicht wies kaum Züge auf und hatte nur Schlitze dort, wo sich Augen, Nasenlöcher, Mund und Ohren hätten befinden sollen. Die Oberseite des Kopfes war breiter als der Rest, obwohl keine Haare eingemeißelt waren.
Schwarze Augen musterten ihn, und Jillan machte einen Satz rückwärts, als ihm bewusst wurde, dass die Augen sich geöffnet hatten. Ansonsten hatte die lebende Statue sich nicht bewegt.
Wie kannst du es wagen, du widerliches Ungeziefer!, zischte eine Stimme.
» T…tut mir leid«, stieß Jillan hervor.
Wie bist du hierhergekommen, in diesen Teil des Wachtraums? Sag es mir rasch!
» Ich… ich weiß es nicht.«
Wir wissen, wer du bist! Du kannst dich vor uns nicht verstecken!
» Ich habe es nicht böse gemeint.«
Gemeint? Es steht dir nicht an zu bestimmen, wie du es gemeint hast! Wir bestimmen alles!
» Wer seid ihr?«
Wie kannst du es wagen, uns eine Frage zu stellen, verfluchtes Geschöpf? Wir sind die Unendlichen. Wirf dich vor uns nieder!
Jillan zitterten die Knie und drohten, ihn vor dem Wesen niederzustrecken, bei dem es sich nur um einen der gesegneten Erlöser handeln konnte. Es war etwas, das über seinen beschränkten Verstand hinausging, ganz so, wie es ihm immer beigebracht worden war. Er war ebenso bevorzugt wie verflucht, sich hier in Anwesenheit des Göttlichen wiederzufinden. All seine Angst und Unzulänglichkeit wurden ihm bewusst, seine Verbrechen und Blasphemien waren enthüllt. Er verspürte aufs Neue das Schuldbewusstsein, das er stets in Prediger Praxis’ Gegenwart empfunden hatte.
» Ich… ich wollte niemandem etwas tun«, bekannte er. » Ich habe mich mit dem Chaos eingelassen. Ich bitte um Vergebung, so unwürdig ich auch sein mag und immer sein werde. Leite mich, gesegneter Erlöser!«
Vergebung!, tadelte ihn die Stimme. Dein Dasein an sich ist schon die Anmaßung, die Vergebung erfleht. Und doch tust du noch einen Atemzug und noch einen und begehst das Verbrechen wieder und wieder. Schon dadurch wird deine Reue zur Heuchelei. Es gibt nur einen Weg zur Vergebung.
» Nenne ihn mir!«, flehte er.
Finde das Geas und enthülle es uns. Dann werden Anmaßung und Verbrechen endlich ein Ende haben, und deiner verabscheuungswürdigen Art wird Vergebung zuteilwerden. Du wirst das Geas finden und es uns enthüllen, verstanden?
Er nickte stumm.
Damit bist du eine Verpflichtung eingegangen. Wenn du uns wieder enttäuschst, verschlingen wir dich bei lebendigem Leib. Die Statue begann sich zu regen, erst langsam, dann immer schneller. Wir werden dich jetzt an diesem Ort verschlingen, damit du weißt, was dich erwartet, wenn du versagst.
Jillan schrie und fuhr ruckartig aus dem Schlaf hoch. Er war schweißüberströmt und erkannte, dass es wohl daran lag, dass er sich nahe bei einem Feuer befand. Jemand hatte eine Decke über ihn gebreitet.
» Er ist wach«, rief eine tiefe Stimme, die er nicht erkannte.
» Ah, da bist du ja.« Aspin beugte sich lächelnd in sein Gesichtsfeld. » Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.«
Jillan reckte den Hals und entdeckte, dass der Schmied auf einem Holzklotz saß. Er hatte die meisten dunklen Locken von seinem Kopf verloren und hatte nun ein paar auffällige Zahnlücken, aber seine Wangen wiesen einen Hauch von Farbe auf, und seine Augen waren klar. Er schien sich auf wundersame Weise von der Seuche erholt zu haben.
» Hier ist etwas Wasser«, sagte Aspin und streckte Jillan einen Becher hin. Indem er sich näher herabbeugte, fügte er flüsternd hinzu: » Schon gut, er ist vertrauenswürdig… Zumindest hält er Wort.«
Das tun auch viele
Weitere Kostenlose Bücher