Das Wispern der Schatten - Roman
sich die Möglichkeit überhaupt ergibt, Azual. Das heißt allerdings auch, dass du jetzt schnell handeln und meine Anweisungen genau befolgen musst. Also hör gut zu. Folgendes wirst du in meinem Namen tun…«
» Allervortrefflichster Häuptling Schwarzschwinge…«, wandte sich Torpeth volltönend an den dicken alten Mann, der sie von seinem absonderlichen Thron ganze zehn Fuß über dem Boden argwöhnisch beäugte.
Wie ist er da überhaupt hinaufgekommen, ohne sich den Hals zu brechen?, fragte sich Prediger Praxis. Es ist keine Leiter zu sehen. Er ist doch sicher nicht mit diesem Federumhang dort hinaufgeflogen, nicht wahr? Nein, es sind nicht genug Federn, um sein Gewicht zu tragen.
» Ich bringe diesen Flachländer zu dir…«
Sein Haar und Bart mögen einst rabenschwarz gewesen sein, aber jetzt sind sie ganz grau. Also ist er eitel, dieser Heidenhäuptling. An seinen Männern ist aber nichts Eitles, befand der Prediger, während er den Raum voller sehniger, schmuckloser Krieger in sich aufnahm.
» …um… äh… Nun, das ist es. Ich bringe diesen Flachländer zu dir.«
Lange, angespannte Augenblicke folgten. Ein Krieger, der breiter, aber ein wenig jünger als die übrigen war, drängte sich nach vorn, baute sich am Fuße des Throns auf und sah sie an. Er musterte den Prediger mit offensichtlicher Verachtung von oben bis unten und fragte Torpeth dann: » Ist das das beste Geschenk, das du dem oberen Dorf machen kannst, heiliger Mann? Es ist wertlos für uns. Ist das vielleicht einer deiner verrückten Scherze? Niemand lacht darüber. Oder ist es eine bewusste Kränkung?«
» Tapferer Pralar«, fragte Torpeth theatralisch, » wie geht es dir?«
» Antworte mir«, knurrte Pralar Unheil verkündend, sei es, weil er vor dem Fremden und den versammelten Kriegern nicht das Gesicht verlieren wollte, sei es, weil er Torpeth wahrhaftig gern in Stücke gerissen hätte.
» Es ist kein Geschenk, kein Scherz und keine Beleidigung von mir«, antwortete Torpeth leichthin und sprang von einem Fuß auf den anderen. » Es ist ein Flachländer, dem die Götter gestattet haben, herzukommen. Es mag also ein Geschenk, ein Scherz oder eine Beleidigung von ihnen sein. Ich schlage vor, dass du deine Beschwerde gleich den Göttern selbst vorträgst, tapferer Pralar.«
» Verspottest du mich?«, knurrte Pralar, aber die Stimme versagte ihm kurz vor dem Ende und das Wort mich war nur noch ein Quieken.
Torpeth erstarrte mitten im Sprung, einen Fuß auf Kniehöhe erhoben, sodass seine Hoden auf seinen Oberschenkel klatschten. Er legte den Kopf schief. » Ich glaube, ich habe eben einen Vogel gehört. Hast du sie aus den Nestern gestohlen und verschlungen, Pralar, in der Annahme, dass sie dir die Macht verleihen würden, auf dem Wind zu reiten und dem göttlichen Wandar näherzukommen?«
Zorn verdüsterte Pralars Gesicht, und er hob die geballte Faust, aber nun meldete sich Häuptling Schwarzschwinge barsch zu Wort: » Es reicht, Troll! Du bist erst seit ein paar Augenblicken hier, aber du bist bereits nicht mehr willkommen. Ich dachte, ich hätte dich schon beim letzten Mal gewarnt, dass wir dich, wenn du je ins obere Dorf zurückkehren solltest, vom höchsten Gipfel werfen würden, nur um festzustellen, wie lieb du den Göttern tatsächlich bist und ob der heilige Wandar seinen Winden gestatten würde, deinen Fall abzufedern.«
Torpeth unterdrückte ein Kichern. » Ich dachte, deine Worte wären nichts als ein Wind gewesen, verursacht von schlechter Verdauung und zu üppigem Essen. Vielleicht solltest du es lieber einmal mit Pinienkernen versuchen. Ich schwöre auf sie! Sie halten mich ganz gut zusammen. Ich vermute, deine üble Laune und dein Groll gehen auf Verstopfung zurück, großer Häuptling. Nicht einmal deine Federn kitzeln dich und zaubern dir ein Lächeln aufs Gesicht, nicht wahr?«
» Das ist nicht sehr klug, Heide«, seufzte Prediger Praxis.
» Ergreift den Troll!«, brüllte der Häuptling den Dutzenden von schlanken Kriegern im Raum zu, von denen einige bereits auf Torpeth zugetreten waren.
Der heilige Mann fuhr mit seinem seltsamen Hüpftanz fort, setzte über einen geduckten Krieger hinweg und sprang dann hinter den Prediger, um einem anderen zu entgehen. Er stieß gegen den Prediger, sodass dieser mit einem Aufschrei vornüberfiel.
» Siehst du, Flachländer? Wandar ist auch als › der schreiende Gott‹ bekannt!«, rief Torpeth, während er mit einem Sprung kurz auf dem gebeugten Rücken des Predigers
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