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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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einziges Wort zur Antwort erhalten.
    Der Totengräber hatte keine Mühen gescheut, sich zum Sarg hinabzuarbeiten, und fieberhaft den Deckel aufgestemmt. Leere Augen hatten ihn anklagend angestarrt. Die zu Klauen verkrümmten Hände des alten Mannes waren erhoben und blutig geschürft, weil er versucht hatte, sich freizukämpfen. An der Innenseite des Sargdeckels hatten Kratzspuren und ein abgerissener Fingernagel von seinem Ringen gezeugt. Der Totengräber hatte einen Moment lang dagestanden und dann den Deckel sanft wieder geschlossen. Er hatte das Grab zugeschaufelt und war ins Wirtshaus zurückgekehrt, aber die Gesellschaft dort war nicht mehr heiter genug gewesen, um die Schatten, die seine Stirn umwölkten, zu verscheuchen, und die Getränke auch nicht stark genug und nicht in ausreichenden Mengen vorhanden, um seine Nerven zu beruhigen.
    Samnir fühlte sich wie der alte Mann aus der Geschichte, nur dass er nicht in einem Sarg, sondern in seinem eigenen Körper gefangen war. Sein Verstand versuchte sich hervorzukämpfen, aber er wurde immer schwächer. Vielleicht glich er eher einem Stein, der am Grunde eines Brunnens lag und von dem niemand wusste, dass er über ein Bewusstsein verfügte. Jemand mochte einen Eimer in den Brunnen werfen, und er mochte neben ihm landen, aber ihm fehlten die Mittel hineinzuklettern.
    » Hallo, Samnir. Ich bin’s mal wieder, Hella. Wie geht es dir heute? Ich hoffe, es war gestern Nacht nicht zu kalt. Sind die Decken, die ich dir gebracht habe, warm genug? Hält der Verschlag einen Großteil des Windes ab?«
    Ich spüre die Kälte und den Wind kaum, Kind. Ich spüre ohnehin kaum etwas. Du machst dir vergeblich all die Mühe. Vielleicht ist es das Beste, wenn du mich in Ruhe lässt. Mach es wie der Totengräber und schließ einfach sanft den Deckel.
    » Das ist gut. Mein Vater ist gestern Abend aus Erlöserparadies zurückgekommen. Und nun stell dir mal vor: Er hat Jillan gesehen! Mit ihm gesprochen! Die Helden und der Heilige haben Jagd auf ihn gemacht, aber er ist entkommen. Ist das nicht unglaublich?«
    Ha! Jillan! Also hat er den Heiligen überlistet, ja? Hehe. Es ist gut, dass ich mein Leben nicht für nichts und wieder nichts geopfert habe.
    Selbst wenn Jillan gefangen genommen, bestraft und zu den Erlösern gezogen worden wäre, hätte Samnir es nicht bereut, dass er versucht hatte, ihm zu helfen. Er bereute fast alles andere in seinem Leben, aber nicht diese eine Tat. Er hatte Jillan eine Möglichkeit verschafft, das Leben zu führen, das er selbst viel zu widerstandslos aufgegeben hatte, als er jung gewesen war. Er war damals natürlich noch ein anderer Mensch gewesen, stolz und ohne jede Reue. Er hatte in seinem Leben keinen Fehler begangen und niemandem etwas geschuldet. Wenn überhaupt, dann hatte das Volk ihm etwas für die harte Arbeit geschuldet, die er leistete, um es als Held zu schützen, und für seinen Gerechtigkeitssinn bei der Schlichtung von Streitigkeiten. Doch die Leute erwiesen ihm nie Dankbarkeit und bescherten ihm in ihrer kleinlichen, eigensüchtigen Art nichts als Ärger. Er hatte weit härter werden und damit beginnen müssen, sie mit den Köpfen zusammenzustoßen, bevor sie einsahen, dass sie sich zivilisiert verhalten und zu ihrem eigenen Besten den Regeln gehorchen mussten. Er hatte sich bald den Ruf erworben, ein unnachgiebiger, ehrgeiziger Mensch zu sein, und war in den Großen Tempel entsandt worden, um zum Offizier ausgebildet zu werden, und danach in die Wüsten des Ostens, um seinen Verstand gegen die wilden Heiden und Barbaren einzusetzen, die dem Reich immer noch Widerstand leisteten. Jahre des Gemetzels waren gefolgt. Er hatte den weißen und goldenen Sand der Wüste rot gefärbt. Er hatte die blauen und grünen Wasser jeder Oase vergiftet, die er hatte finden können, und jeden Baum und Strauch niedergebrannt. Aber das hatte nicht ausgereicht, und trotz all seiner Anstrengungen hatte sich in der östlichen Region nichts geändert. Nein, das stimmte nicht. Nichts hatte sich geändert, bis auf ihn selbst. Er war gereizt und unzufrieden geworden, sogar rasend, als ob er nach etwas suchte, das er nicht finden konnte. Je brutaler, blutrünstiger und erfolgreicher er als Soldat des Reichs geworden war, desto schlimmer waren seine schwarzen Launen geworden. Seine Vorgesetzten hatten begonnen, ihn mit Furcht, Abscheu und Entsetzen zu betrachten. Keiner seiner Vorgesetzten war ein schwacher Mann, aber es war deutlich, dass er in ihren Augen

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