Das Wispern der Schatten - Roman
sehnig wie der aller anderen.
Häuptling Schwarzschwinge zügelte sich, da die Worte des alten Kriegers einiges Gewicht zu haben schienen. » Ja, Slavin, die Frage ist berechtigt. Alle wissen, dass sie mit dem Verrückten zu nachsichtig und er durchaus in der Lage ist, sie zu überlisten. Wenn der Flachländer wahrhaftig eine Prüfung für uns ist, dann muss sie in der Frage bestehen, ob wir töricht genug sind, ihm zu erlauben zu sprechen. Sind wir so voller Selbstzweifel, dass wir ihn auch nur anhören müssen?«
» Oder sind wir so voller Selbstzweifel, dass wir seine Worte fürchten?«, erwiderte Slavin gemessen. Einige der anderen Anwesenden nickten daraufhin.
Der Häuptling starrte den Krieger böse an, und ein verärgerter Pralar trat neben seinen Vater. Anscheinend von der Geste seines Sohnes und der Tatsache, dass sie ihn hilfsbedürftig wirken ließ, aus dem Gleichgewicht gebracht, versuchte Häuptling Schwarzschwinge, Pralar zu verscheuchen. » Nein, Slavin. Keiner aus dem oberen Dorf fürchtet sich vor Worten oder Flachländern. Wir sind Wandars Lieblinge, und alle anderen müssen uns fürchten! Der Flachländer wird um Gnade winseln und diese Angst über uns ausspeien, so dass sie für alle deutlich sichtbar wird. Danach wird er sofort Wandar geopfert.«
Slavin nickte leicht und richtete den Blick erwartungsvoll auf den Prediger. Häuptling Schwarzschwinge hatte keine Wahl, als dem Krieger, der Praxis das Messer an den Hals hielt, zu bedeuten, die Waffe zu senken.
» Sprich, wehleidiger Flachländer!«, befahl Häuptling Schwarzschwinge.
Welche Erniedrigungen, Demütigungen und Entbehrungen habe ich doch für meinen Glauben auf mich genommen! Keiner der Heiligen in der Heiligen Schrift hat auch nur ansatzweise so viel durchlitten wie ich. Ich werde der größte aller Heiligen sein, der heiligste und verehrteste. Ich werde ein leuchtendes Vorbild für jeden Schüler in jeder Stadt des Reichs sein, sagte Prediger Praxis zu sich selbst. Aber erst muss ich das Chaos überwinden, das diese Heiden gefangen hält. Ich muss tun, was auch immer nötig ist, um für ihre letztendliche Erlösung zu sorgen, ob sie diese Erlösung nun lebendig überstehen oder nicht. Ich muss einen Weg finden, sie zu belügen und zu beschwatzen, obwohl das der grundsätzlichen Anständigkeit und Ehrlichkeit meiner Natur zuwiderläuft. Ach, niemand ist je so von der Welt gepeinigt worden wie ich! Der härteste und kälteste Krieger würde in Tränen ausbrechen, würde er die Geschichte meines Leids und meiner Nöte auch nur hören. Ganze Nationen würden zusammenbrechen. Die Erde würde abbröckeln und ins Meer stürzen. Die Himmel würden niederfallen. Der Kosmos selbst wird vor Mitgefühl erzittern, wenn er erfährt, was ich hier auszustehen habe. Ich bin der lebendige Wille der Erlöser. Ich bin die Fleisch gewordene Heilige Schrift. Nichts, was ich sage, tue oder beschreibe, kann falsch sein.
Von dort, wo er kniete, sah der Prediger dem fetten Heiden in die Augen. Er gestattete es seiner Stimme nicht zu zittern, als er sagte: » Ich bin gekommen, um Rache am Flachland zu nehmen, Häuptling Schwarzschwinge!«
Der Häuptling starrte den Prediger glasig an, als sähe er ihn zum ersten Mal und wüsste nicht ganz, was er von ihm halten sollte. Die Krieger murmelten etwas in ihren Bart oder tuschelten miteinander.
» Rache, weil ich von meinem eigenen unwissenden und neidischen Volk verbannt worden bin!«, stieß der Prediger hervor und stellte fest, dass er seinen Zorn nicht heucheln musste. So weit ist das schließlich von der Wahrheit nicht entfernt. » Ich kann deine Krieger zur Stadt Gottesgabe führen und ihnen zeigen, wie sie sie dem Reich entreißen können. Dann werdet ihr Rache dafür nehmen können, dass das Reich euch einst das Flachland gestohlen hat.«
Das Gemurmel der Krieger wurde lauter. Häuptling Schwarzschwinge taumelte einen Schritt zurück und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Dann fuhr sein Kopf wieder zu dem Prediger herum, und er zog die Oberlippe hoch. » Du würdest dich gegen dein eigenes Volk stellen? Und du erwartest, dass wir bereit wären, uns von einem solchen Geschöpf führen zu lassen? Das Volk der Berge ist nicht so niedrig wie deinesgleichen. Du ekelst mich an. Ich habe genug gehört.« Der Häuptling blickte zu dem Mann mit der gezogenen Klinge.
» Ich bin nicht derjenige, der feige ist, Häuptling Schwarzschwinge«, sagte der Prediger rasch. » Ich bin nicht derjenige, der davor
Weitere Kostenlose Bücher