Das Wispern der Schatten - Roman
wusste nicht, ob es der Heilige war oder ob nur sein eigener Verstand laut sprach.
Er schob sich die Füße unters Gesäß und dann noch weiter nach hinten, bis er sich nach vorn beugen und flach auf den Bauch legen konnte. Jetzt bot er wenigstens dem Wind weniger Angriffsfläche.
Flüssigkeit spritzte von oben auf ihn herab, und die beiden Heiden lachten gehässig.
» … bis Lisa dann den Fehler begangen hat, Jed schöne Augen zu machen. Wehret den Anfängen, hat sich deine Mutter gesagt, und deshalb war keiner von uns überrascht, als Lisa plötzlich einen hässlichen Hautausschlag im ganzen Gesicht und fürchterlichen Juckreiz an den unbehaglichsten Stellen entwickelte. Na, das wollte sich dann keiner der Männer aus Neu-Heiligtum genauer ansehen, um sich ja nicht anzustecken. Lisa begann zu schreien, dass deine Mutter eine Hexe wäre, und das hat die Ältesten sehr verstört, denn im Reich ist es eines, wenn eine Frau sich mit Kräutern und Heilmitteln auskennt, aber etwas ganz anderes, wenn sie mit Zaubern und Flüchen etwas heraufbeschwört. Nun, und als Nächstes verliert Lisa dann die Stimme, sodass sie sich nicht mehr beschweren kann, und deine Mutter sagt vor aller Ohren zu ihr: › Und du wirst noch viel mehr als das verlieren, dreiste Lisa, wenn du dich nicht mitsamt deiner Bosheit in eine andere Stadt verziehst. Beim nächsten Mal überlegst du es dir besser gründlich, bevor du versuchst, die Augen und den Verstand eines guten Mannes wie dem meinen zu betören, verstanden? Jetzt fort mit dir, denn meine Geduld und die Nachsicht dieser Stadt sind vollends aufgebraucht.‹ Und die dreiste Lisa rannte zum Stadttor hinaus und ward nie mehr gesehen!«
So kam Thomas zum Schluss der Geschichte, während er das Pferd, das ihren Wagen zog, auf eine fast unsichtbare Nebenstraße lenkte. Aspin lachte und schlug sich auf die Schenkel. Die Erzählungen des Schmieds hatten den ganzen Nachmittag über ihren Zauber entfaltet und dem Bergkrieger geholfen, sich zu entspannen und seine Schmerzen zu vergessen. Er war mittlerweile sehr von Thomas eingenommen.
Jillan blieb stumm. Zunächst war er von den Geschichten über seine Eltern in Neu-Heiligtum gefesselt gewesen, aber sein Unbehagen hatte sich mit jeder Anekdote gesteigert. Er konnte nicht genau benennen, woran es lag, aber irgendetwas an den Geschichten kam ihm einfach nicht richtig vor, so als ob Thomas schlecht von seinen Eltern sprach, ohne dass Jillan sich an einzelne dementsprechende Äußerungen hätte erinnern können. Während Aspin immer lauter vor Lachen gebrüllt hatte, hatte Jillan sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen.
Plötzlich hielt Thomas inne und sah sich mit zornblitzenden Augen um. » Jemand verfolgt uns.«
Aspin blickte sich ebenfalls um und tastete hinter sich nach seinem Bogen. » Woher weißt du das? Ich habe nichts gesehen oder gehört.«
» Es liegt an dem, was wir nicht gehört haben. Ich kenne diesen Wald. Er ist zu still. Irgendein Jäger ist da draußen. Ich kann ihn aber abhängen«, erklärte Thomas und schnalzte mit den Zügeln.
» Wie um alles in der Welt sollen wir ihn denn abhängen?«, fragte Aspin.
» Meine Leute kennen die verborgenen Wege durch die Wälder. Es gibt Straßen, die jedermann sehen kann, aber auch andere Pfade und Wildwechsel, denn sonst hätten der Heilige und seine Helden unseren Weiler schon längst gefunden.«
» Ist es Magie?«, fragte Aspin mit hochgezogenen Augenbrauen.
» Ja und nein. Es hat damit zu tun, dass alle Lebensenergie irgendwie miteinander verbunden ist, aber unser Zauberer, Bion, kann das besser erklären als ich. Häng dennoch die Bogensehne ein, Krieger.«
Aspin arbeitete schnell und hatte bereits einen Pfeil angelegt und die Waffe erhoben, bevor Jillan auch nur begonnen hatte, sich zu fragen, ob er das Gleiche tun sollte. Er beobachtete alles wie im Traum, als wäre er losgelöst von allem. Soweit er es einschätzen konnte, deutete nichts auf eine Gefahr hin.
Ein großer Schatten verstellte ihnen den Weg. Der Schmied fluchte heftig, ließ die Zügel fallen und von nirgendwo scharfe, glänzende Klingen hervorschnellen. » Erschieß ihn, Krieger!«
Aspin hob den Bogen.
Jillan blinzelte. » Nein, Aspin, tu’s nicht.«
Der Bergkrieger zögerte, blinzelte selbst und schüttelte halb den Kopf.
» Erschieß ihn!«, befahl Thomas heiser.
» Nein! Er ist mein Freund! Du wirst nicht schießen, Aspin. Alles ist gut.«
Ein großer schwarzer Wolf saß ihnen im Weg und
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