Das Wispern der Schatten - Roman
schrie der tadellos frisierte Mann, als sein Haar Feuer fing, seine Haut zu schmelzen begann und seine Uniform verbrannte. Der Geruch nach geschmortem Fleisch lag in der Luft.
» Ganz ruhig! Es ist alles gut. Ich bin ja jetzt da.«
Das Fleisch des Heiligen wurde schwarz und knusprig. Sein ersterbendes Stöhnen ging im Tosen des Infernos auf. Einen Moment lang blieben seine Gliedmaßen als dürre, verkrümmte Dochte für die bunten Flammen erhalten, doch gleich darauf waren sie nichts mehr als Asche im Wind. Das Feuer erlosch so plötzlich, als hätte es den Heiligen nie gegeben.
Der Sonderbare stieg vom Felsen herab, klopfte sich den Staub von den Händen und nahm wieder seine vorherige Gestalt des schmerzlich schönen Jünglings an. » Ich habe ihn gewarnt. Ihr habt doch gehört, wie ich ihn gewarnt habe, nicht wahr?«
Die sechs gaffenden Helden nickten.
» Freund Anupal!«, rief eine Stimme. » Ich bin hier unten gefangen.«
Die Brauen des Sonderbaren zogen sich in glühender Verstimmung zusammen. » Ihr Schufte habt meine Freundin eingesperrt? So behandelt man doch eine Dame nicht!«
» Ein Ungeheuer, meinst du wohl«, sagte ein Held mit kantigem Gesicht, der den Zauberbann abzuschütteln schien.
» Nimm dein Schwert und schneide dir die Zunge heraus. Gut so! Jetzt schluck die Klinge zugleich mit deinen Worten herunter.«
Die übrigen fünf sahen in hilflosem Entsetzen zu.
» Du da!«, sagte der Sonderbare zu einem, der sich in die Hose gemacht hatte. » Lass meine Freundin frei.«
Der Held machte mit zitternden Knien einen zaghaften Schritt vorwärts. Der Sonderbare schnalzte mit der Zunge und berührte den Soldaten an der Schulter. Der Mann fiel mit überraschter Miene tot um.
» Zu langsam. Ich bin sehr, sehr beschäftigt! Ich muss dringend anderswo sein. Du da! Lass meine Freundin frei.«
Der nächste Held verschwendete keine Zeit und gelangte bis zur ersten Stufe zur Bestrafungskammer, bevor der Sonderbare gähnte und mit den Fingern schnippte. Der Mann stolperte und fiel die Stufen hinab. Die plötzliche Stille dort unten verriet den verbliebenen drei, dass ihr Kamerad sich den Hals gebrochen hatte.
» Du!«
Der vierte Mann hatte sich bereits in Bewegung gesetzt.
» Löbliche Geistesgegenwart und Entschlusskraft!«
Die übrigen beiden seufzten vor Erleichterung. Der Sonderbare richtete den Blick auf sie.
» Anders als bei euch beiden.«
Einer warf sich auf die Knie und faltete die Hände vor dem Körper. » Gnade, Heiliger!«
Der Sonderbare berührte ihn an der Stirn, als würde er ihn segnen. » Nun gut. Ich werde es kurz und schmerzlos für dich machen.« Dann wandte er sich dem letzten Helden zu. » Nun?«
» Ich… ich…« Er zuckte mit den Schultern. » Es tut mir leid?«
Der Sonderbare bedachte ihn mit einem unnachsichtigen Lächeln. » Guter Versuch, aber was nützt es, wenn es einem im Nachhinein leidtut, hm? Es muss einem im Voraus leidtun, damit gar nicht erst etwas passiert.« Er streichelte dem Soldaten die Wange. » Vergiss das nicht, wenn das Geas geruht, dir ein weiteres Leben zu schenken.« Er fing den Mann auf, als er umfiel, und legte ihn sanft auf dem Boden ab.
Der vierte Held kehrte mit Freda zurück. Er schaute zu seinen toten Kameraden und schluckte verängstigt.
» Ah, da bist du ja, meine Liebe. Geht es dir gut?«
» Ja, Freund Anupal.«
» Das ist gut. Dann sollten wir all dies Unschöne hinter uns lassen und weiterreisen.« Er nahm sie an die Hand, und sie schritten davon und ließen den Helden zurück.
» Ich bin froh, dass du sie nicht alle getötet hast«, murmelte Freda.
» Aber natürlich nicht, meine Liebe. Ich bin doch kein Ungeheuer. Wenn ich kann, versuche ich, Gutes zu tun, um gute Freunde zu gewinnen. Es betrübt mich, wenn ich das nicht tun kann.«
Außerdem muss doch einer am Leben bleiben, damit er die Geschichte der derzeitigen Generation dieser Welt erzählt. Mein Ruf muss wiederhergestellt werden.
Jillan fuhr verwirrt aus dem Schlaf hoch. Wo war er? In einem kleinen Raum mit goldfarbenen Deckenbalken. Es war niemand sonst dort. Helles Tageslicht strömte durch zwei Fensterläden, und zwar nicht das kalte Licht des anbrechenden Morgens. Es fühlte sich eher wie Mittag an. Wie konnte das sein? Er hatte etwas verloren, aber er wusste nicht genau, was. Ihm war übel bei dem Gedanken, dass er das hier schon einmal erlebt hatte.
Der Kopf tat ihm weh. Er war in Versuchung, nach dem Makel zu rufen, um ihn zu fragen, was in der vergangenen
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