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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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als er bisher hatte herausfinden können, und sich dazu entschied, sie zu brechen, dann würde das Folgen haben, an die auch nur zu denken unerträglich war. Mehr als ihre kostbare Familie würde verloren sein – die ganze Welt!
    Maria begann zu erkennen, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn sie alle in Neu-Heiligtum gestorben wären. Den Tod musste man, wie sie wusste, nicht fürchten, weil das Geas ständig neues Leben schuf. Sie fürchtete ihn dennoch, weil er bedeutete, ihren lieben Mann und ihren unschuldigen Sohn zurückzulassen und zu vergessen. Und diese Furcht, diese Schwäche, hatte sie letzten Endes hierhergeführt und würde vielleicht noch allen zum Verhängnis werden.
    » Nein, Maria, du bist nicht klug. Du bist ein Feigling«, sagte sie zu sich selbst.
    Tränen strömten ihr über die Wangen. Wenn sie die Decke zusammendrehte oder in Streifen riss, würde sie ein Seil bekommen, das sie um die Gitterstäbe des kleinen Fensters oben in der Metalltür binden konnte. Wenn sie ihr Körpergewicht richtig einsetzte, konnte sie sich den Hals brechen, bevor…
    Etwas scharrte im Schloss, und die Tür quietschte, als sie aufgezogen wurde. Ein gewaltiger Körper zwängte sich gebückt in die Zelle. Maria wich vor der grotesken, hoch aufragenden Gestalt zurück, die beinahe doppelt so groß war wie sie. Zu spät! Sie hatte zu lange gezögert, sich selbstsüchtig in den kostbaren Sekunden gequält, die sie hätte nutzen sollen, um sich das Leben zu nehmen. Was habe ich getan? Geas, vergib mir! Ich bin unwürdig und war es schon immer. Nimm meinen Geist nicht in dich auf! Streck mich hier und jetzt nieder, sodass ich dich nicht an die unersättlichen und parasitischen Erlöser verraten kann. Mach ein Ende mit mir! Ich flehe dich an, Geas! Bitte!
    Aber es kam keine Antwort, nur Schweigen, wie Schweigen auch auf all die Sendrufe gefolgt war, die sie in den letzten paar Tagen versucht hatte. Die breiten Nasenlöcher des Heiligen bebten, als er Witterung aufnahm, um Maria auszumachen. Er trat auf sie zu und hörte, wie sie von ihm abrückte, um sich an die hintere Wand der Zelle zu pressen. Dann schien er plötzlich in der Lage zu sein, sie zu sehen. Er trat näher, sodass sein Schatten sie in Dunkelheit hüllte, und dann war sein Gesicht nur noch einen Zoll von ihrem entfernt, roch ihre Furcht und sabberte voller Vorfreude. Sein heißer Atem stank nach Tod, und aus den wunden Höhlen, in denen sich einst seine Augen befunden hatten, sickerten Eiter und blutige Tränen hervor. Dieses albtraumhafte Wesen war doch sicher nie ein Mensch gewesen? Seine Haut hatte einen grünlichen Farbton, der von derart tödlichen Giften zeugte, dass es für sie keinen Platz im Leben und in der Natur dieser Welt geben konnte. Maria bekam bei seinem Anblick und seiner Nähe eine Gänsehaut. Ihre Lunge verkrampfte sich vor Entsetzen. Ihr Verstand geriet ins Wanken.
    » Behandelt man dich gut?«, flüsterte das abscheuliche Ding.
    Sie wollte sich übergeben. Sie konnte nicht nicken, weil sie die Vorstellung nicht ertragen konnte, sein widerliches Fleisch zu berühren. Er war allem, was sie kannte und woran sie glaubte, ein Gräuel. Es schnürte ihr die Kehle zu. Sie konnte nicht sprechen.
    » Oh, du hast ja Angst! Ich will dir keinen Schrecken einjagen.« Er grinste, neigte den blinden Kopf zur Seite und trat einen Schritt zurück. » Ich entschuldige mich. Ich nehme an, ich sehe nicht unbedingt gut aus. Es ist alles höchst… unglücklich verlaufen und für mich ebenso schwierig wie für dich und deinen Mann. Ich wünschte wirklich, es wäre nicht so weit gekommen. Das siehst du doch auch so, nicht wahr, Maria?«
    Es gelang ihr endlich, den Kopf von der Wand zu lösen und schwach zu nicken. Das Wort entschlüpfte ihr: » Ja.«
    Er hockte sich hin, sodass sein Kopf nun fast auf einer Höhe mit ihrem war. Ihm haftete ein Hauch von Bekümmerung an. Nein, sie würde kein Mitleid mit diesem wahnsinnigen Ungeheuer haben, nicht nach allem, was es getan hatte. Aber Azuals Magie beeinflusste sie, appellierte an ihre mütterlichen und treu sorgenden Instinkte.
    Sie versuchte, ihre geistigen Verteidigungswälle zu verstärken, aber sie hatte sich in den letzten Tagen verausgabt und kaum geschlafen. Zu ihrer endlosen Beschämung– obwohl sie vernunftgemäß wusste, dass sie daran keine Schuld trug– war sie von Azual zu den Erlösern gezogen worden, als sie jung gewesen war. Er war in ihr, und sie konnte sich ihm nicht widersetzen,

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