Das Wispern der Schatten - Roman

durchs Holz strömte. Und das Holz selbst bewegte sich ganz langsam– wenn auch weit schneller als Stein–, so als ob es am Leben sei! Wuchs es? Sie versuchte, ihm ein paar einfache Fragen zu stellen, und lauschte auf eine Antwort. Im Geräusch, das das Holz hervorbrachte, wandelten sich die Rhythmen und Muster, wobei es sich vielleicht um eine Art Sprache handelte, die Freda allerdings nicht verstand. Als sie dann unabsichtlich ein zartes Stück eines Netzes zerriss, ertönten schrille Geräusche, als ob das Holz litt oder schrie. Jetzt bestand für Freda kein Zweifel mehr, dass das Holz lebendig war und auf gewisse Weise sprechen konnte, obwohl seine Sprache für sie unverständlich war.
    Unfähig, weiter durch den Boden vorzudringen, ohne dem Holz wehzutun, wagte sie sich ganz aus der Erde hervor. Ihr wurde bei dem Gedanken leicht übel, dass die Bergleute Werkzeuge benutzten, die aus diesen toten Geschöpfen bestanden, und dass die Aufseher über Tage Kammern aus totem Holz errichteten. Noch mehr Grausamkeit. Freda fragte sich, ob die Hohen Herrscher auch aus ihrem toten Körper Werkzeuge und Kammern würden herstellen wollen, wenn sie sie fingen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie eine Kammer aus ihr bauten, solange sie noch am Leben war! Es war eine entsetzliche Vorstellung.
    Sie schauderte und bemerkte, dass der ständige Luftzug sie frieren ließ. Sie musste irgendwelche Kleider auftreiben, obwohl sie immer zerstört werden würden, wenn sie durch den Boden reiste. Kleidung würde vielleicht auch helfen, ihre Haut zu schützen, falls die Kugel aus Sonnenmetall jemals zurückkehrte.
    Nach ungefähr einer Stunde fuhren die Wagen von dem Weg herunter, dem sie bisher gefolgt waren, und hinaus auf eine Freifläche zwischen einigen der Holzsäulen. Die schweren Männer mit den Waffen stiegen ab und begannen, dem Dutzend Menschen, das sie bewachten, Befehle zu erteilen. Die meisten waren jung, kaum mehr als Kinder. Es waren sowohl Jungen als auch Mädchen darunter, und mehrere von ihnen schluchzten leise. Sie taten Freda leid, da sie wusste, dass sie ihren Eltern weggenommen worden sein mussten und sie sie wahrscheinlich nie wiedersehen würden– so, wie Norfred ihr genommen worden war.
    Zwei der Jugendlichen wurden ausgeschickt, totes Holz unter den Säulen zu suchen, und Freda wurde bewusst, dass die Säulen auf natürlichem Wege Teile von sich selbst abwarfen, sodass die Bergleute mit ihren Werkzeuggriffen vielleicht nicht gar so böse waren. Das tote Holz wurde dann auf eine kleine Flamme gehäuft, die einer der schweren Männer entzündet hatte. Eine Anzahl der jungen Leute scharte sich sofort ums Feuer, und Freda konnte selbst aus dieser Entfernung sehen, dass sie vor Kälte zitterten.
    Zwei andere Jugendliche erhielten die Anweisung, vom Wagen Sackleinen als Bettzeug und etwas zu essen zu holen. Dann wurden die zwölf jungen Leute allein gelassen, um es sich miteinander bequem zu machen, während die schweren Männer sich ein Stück weit entfernten, um selbst ein Feuer zu entzünden. Nachdem einer der schweren Männer die starken Geschöpfe, die sich nicht beklagten, an eine Holzsäule gebunden und sie mit Getreide, das er aus einem Sack schüttete, gefüttert hatte, stieß er zu den anderen fünf Männern und beteiligte sich an ihrem gemurmelten Gespräch.
    Freda schlich sich so unauffällig sie konnte an die Wagen heran und kauerte sich zusammen wie ein Felsbrocken, wann immer jemand in ihre Richtung sah. Sie nahm sich etwas von dem Sackleinen, um es als Kleidung zu verwenden, zog sich dann wieder zwischen die Holzsäulen zurück und schlug einen Bogen um die Lichtung, bis sie nahe genug bei den schweren Männern war, um zu belauschen, was sie sagten.
    Einer von ihnen, der eine Pfeife zwischen die Zähne geklemmt hatte, sagte gerade: » Beim großen heiligen Goza, genau so soll es gewesen sein!«
    » Und noch dazu mit steinharter Haut, die so undurchdringlich war, dass Altors Sonnenmetallspeer davon abgeglitten ist«, sagte ein Mann mit schmalem Gesicht, der ein großes, haariges Muttermal auf der Wange hatte.
    Reden sie etwa über mich?, fragte sich Freda.
    » Hab noch nie von etwas gehört, das Sonnenmetall aufhalten könnte«, sagte der älteste der Männer, der sich dann und wann Stücke von etwas abschnitt, worauf man herumkauen konnte.
    Der Jüngste, dessen Gesicht noch keine Bartstoppeln hatte, nickte. » Das Sonnenmetall hat doch wohl sogar die alten heidnischen Götter