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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Lautstärkepegel immer gerade exakt so hoch, dass ein Abhören der Gespräche nicht möglich ist.«
    Mit einem triumphierenden Ausdruck lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Enrique lächelte.
    Â»Kann es sein, dass du etwas damit zu tun hast?«
    Marek machte ein unschuldiges Gesicht. »Wie kommst du darauf? Ich bin nur ein harmloser kleiner Student, der von Hightech keine Ahnung hat.«
    Enrique wusste es besser. Er kannte Marek nun seit etwa einem Jahr und hatte inzwischen einen guten Überblick über die Talente seines Freundes. Er mochte keine Ausbildung in einem technischen Beruf besitzen, aber wenn jemand ein Händchen für Technik hatte, dann er. Er schien nur keine Lust zu haben, diese Begabung zum Geldverdienen einzusetzen. Wenn es allerdings um kleine Sabotageakte ging, dann war er gern zur Stelle.
    Â»Deine anarchistische Neigung wird dir noch mal zum Verhängnis werden«, sagte Enrique. »Gerade in Zeiten wie diesen.«
    Â»Wegen der Bomben?«
    Enrique nickte.
    Â»Wer sagt, dass die Anarchisten dahinterstecken? Ich halte das bloß für eine Propagandalüge der Regierung.«
    Â»Aber welchen Grund sollte die Regierung haben, selbst Bomben zu zünden?«
    Marek sah Enrique mit gerunzelter Stirn an. »Du willst doch nicht wieder eine deiner Verteidigungsreden halten?« Er winkte einem Zeitungsverkäufer zu, der gerade das Lokal betreten hatte, kaufte ein Exemplar und hielt Enrique die Titelseite entgegen: Der Terror geht weiter. Bomben legen Innenstadt lahm. Regierung will Sicherheitsvorkehrungen verstärken .
    Enrique blickte ihn fragend an. »Und?«
    Marek ließ die Zeitung sinken. »Die Regierung verstärkt die Sicherheitsvorkehrungen. Darum geht es. Mehr Kontrolle, mehr Überwachung und noch mehr Bespitzelung. Und ich bin nicht der Einzige, der dieser Meinung ist.«
    Enrique schüttelte den Kopf. »Du bist einfach besessen von dem Gedanken, dass der Staat alles Schlechte verkörpert. Ich kann mir das nur damit erklären, dass du in deiner Heimat ein paar üble Erfahrungen gemacht haben musst.«
    Marek machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hör schon auf mit dieser Amateurpsychologie. Das ist nun wirklich nicht deine Stärke.«
    Enrique sah von einer Antwort ab, weil die Kellnerin an ihren Tisch trat. Nachdem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten, vertiefte sich Marek in die Zeitung. Es war seine Art, unvermittelt von einem Thema zum anderen zu wechseln, vom Gespräch zur Lektüre. Er hatte Enrique einmal erklärt, eine Stoffwechselstörung des Gehirns sei dafür verantwortlich. Enrique verstand nicht, warum er diese Störung nicht medizinisch behandeln ließ, sondern im Gegenteil ganz glücklich damit zu sein schien. Es war eine der vielen Eigenheiten Mareks, die ihm unerklärlich vorkamen. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass es seinem Freund mit ihm sicher nicht anders ging.
    Zum wiederholten Mal fragte er sich, warum das Schicksal gerade ihn und Marek zusammengeführt hatte.
    Und das, obwohl er doch gar nicht an das Schicksal glaubte.
    3.
    Marek glaubte an das Schicksal.
    Alles, was ihm im Leben zustieß, war seiner Überzeugung nach von der Vorsehung bestimmt. Einer Vorsehung, die blind war gegenüber dem Los des Einzelnen, wie er am eigenen Leib erfahren hatte. Als er sechs Jahre alt war, hatte ein Sonderkommando der Polizei das Haus seiner Familie überfallen. Es hatte einen Schusswechsel gegeben, bei dem seine Eltern ums Leben gekommen waren. Marek, ihr einziges Kind, wurde in ein staatliches Waisenhaus gesteckt, wo er viele Jahre später erfuhr, dass seine Eltern angeblich Terroristen gewesen seien, die mehrere Bombenattentate auf Militärkasernen und öffentliche Gebäude durchgeführt hatten.
    Nach seiner Entlassung aus dem Waisenhaus hatte er das Land sofort verlassen, denn alles dort erinnerte ihn an das, was er verloren hatte. Mitgenommen in seine neue Heimat hatte er eine tiefe Abneigung gegen jegliche staatliche Autorität. Deshalb bereiteten ihm seine kleinen Sabotageakte so eine Genugtuung, obwohl er wusste, dass er damit den Gang der Dinge nicht aufhalten konnte.
    Auch seine Begegnung mit Enrique war ein Werk des Schicksals. Marek dachte an den Tag zurück, an dem er seinem Freund zum ersten Mal begegnet war. Er hatte sich auf dem Heimweg in seine kleine Absteige befunden, als er über die Beine eines Betrunkenen gestolpert war, der in

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