Das Wörterbuch des Viktor Vau
und Marek sich endlich bis zum Einlass vorgearbeitet hatten. Marek hatte die Wartezeit abwechselnd damit verbracht, Enrique Vorhaltungen wegen seines Desinteresses zu machen und mit den jungen Frauen zu flirten, die ebenfalls in der Schlange ausharrten. Als sie endlich eingelassen wurden, hatte er bereits fünf neue Bekanntschaften geschlossen, Telefonnummern ausgetauscht und Verabredungen für den Rest der Nacht getroffen.
Der riesige Saal mit seiner wogenden Menschenmenge wurde von Stroboskopen erleuchtet, deren flackerndes Licht es Enrique zunächst unmöglich machte, etwas genau zu erkennen. Er spürte das Dröhnen der Bässe in jeder Faser seines Körpers. Marek zog ihn am Rand der Tanzfläche entlang zu einem Gang, der in einen Nachbarraum mit einer groÃen Bar führte. Auch hier war es drängend voll, doch zumindest war eine Unterhaltung möglich. Marek stürzte sich in die Menge vor dem Tresen und kehrte überraschend schnell mit einem Bier für sich und einer Cola für Enrique zurück. Er trug ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
»Das wird eine gute Nacht, Mann«, rief er und prostete Enrique zu.
Der nahm einen Schluck von seiner Cola. »Ich weià noch nicht, ob ich lange bleibe.«
»Nun sei kein Spielverderber! Du musst dich einfach in die Masse stürzen und mal ein bisschen gehen lassen. Dann kommen die Mädels schon von allein.«
Wie um seine Worte zu bestätigen, tauchte neben ihnen eine der jungen Frauen auf, mit denen Marek bereits vor der Tür geflirtet hatte. Ohne zu zögern, legte er seinen Arm um sie.
»Was hältst du von meinem Freund hier?«, fragte er und deutete mit seiner Bierflasche auf Enrique.
Die Frau wandte ihm ihr blasses, puppenhaftes Gesicht zu. »Sieht ein bisschen ernst aus.«
Marek flüsterte der Frau, die Enrique immer noch anstarrte, etwas ins Ohr und sie lachte.
»Wir gehen eine Runde tanzen«, erklärte er und drückte Enrique seine Flasche in die Hand.
Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwanden er und das Mädchen in Richtung Tanzfläche. Enrique seufzte. Er sah sich nach einer Ecke um, in die er sich zurückziehen konnte. Hinter der Bar waren Stehtische an der Wand aufgereiht. Er bahnte sich den Weg dorthin und fand einen freien Tisch. Nachdem er seine Flaschen abgestellt hatte, schob er den Barhocker gegen die Wand, setzte sich und hing seinen Gedanken nach.
Er wusste, dass sein Freund es nur gut mit ihm meinte, wenn er ihn unbedingt mit jemandem verkuppeln wollte. Nur schien er leider nicht begreifen zu wollen, dass Enrique daran keinerlei Interesse besaÃ.
Es war nicht so, dass Enrique Frauen nicht mochte. Er hatte Bedürfnisse, so wie die meisten Männer, und es war manchmal nicht leicht, dagegen anzukämpfen. Aber in seiner gegenwärtigen Lebensphase gab es einfach keinen Platz für eine Frau, und er hoffte inständig, Marek würde bei seiner Rückkehr nicht wieder eine Kandidatin für ihn anschleppen.
Irgendwann fiel ihm eine Frau an einem der anderen Tische auf. Sie hatte eine hohe Stirn, mittellange blonde Haare, volle Lippen und schmale, fast asiatisch anmutende Augen. Ihre Nase war vielleicht ein wenig zu groà für ihr Gesicht, aber das tat ihrer ungewöhnlichen Schönheit keinen Abbruch. Sie unterhielt sich angeregt mit einer Freundin, die mit dem Rücken zu ihm saÃ. Die Frau lachte viel.
Die nächsten zehn Minuten glitt sein Blick immer wieder zu ihr herüber. Dabei gab er sich Mühe, unauffällig zu wirken. Er wollte keinesfalls, dass sie sein Interesse bemerkte.
Enrique nahm einen Schluck von seiner Cola und fragte sich, was ihn an dieser Frau so faszinierte. Sie war anders als die Frauen, die sonst hier herumliefen und auf die Marek es abgesehen hatte. Weder trug sie eines dieser angesagten ultrakurzen Paillettenkleider noch knallbunte Turnschuhe. Sie war mit ihrer Hose und dem weiten Hemd darüber eher zurückhaltend gekleidet.
Marek hätte sie vermutlich sofort angesprochen. Für Enrique war dies undenkbar. Er empfand in solchen Situationen ein unerklärliche Beklemmung, welche von vornherein jene leichte, schnelle und wortgewandte Kommunikation unterband, die gerade in solchen Situationen gefordert war.
Eine Hand auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken. Er fuhr herum.
Vor ihm stand ein Mann in seinem Alter und starrte ihn mit dem bereits leicht glasigen Blick eines Menschen an, der zu viel
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