Das Wörterbuch des Viktor Vau
einfach nur ernst an.
»Na schön«, sagte sie schlieÃlich. »Setz dich schon hin. Gegenseitig zu Tode starren können wir uns ja immer noch.«
Er nahm den Hocker ihr gegenüber und streckte ihr die Hand über den Tisch hin. »Ich bin Enrique«, sagte er.
Auch das noch, stöhnte sie innerlich. Ein Kerl mit Manieren! Aber sie ergriff seine Hand, wenn auch nur für einen kurzen Moment. »Mein Name ist Astarte.«
Er nickte schweigend. Sie fragte sich, ob er vielleicht einen Dachschaden hatte. Diese Pausen zwischen seinen Sätzen, die langsame Aussprache, der unverwandte Blick. Sie war doch wohl nicht an einen Irren geraten?
»Du musst mich auch nicht immer anstarren«, erinnerte sie ihn.
»Tut mir leid.« Er senkte den Blick. Das war schon die zweite Entschuldigung! Was stimmte mit diesem Typen bloà nicht? Anderseits fragte sie sich, was denn mit ihr los war? Da traf sie endlich einen Mann, der sich ordentlich zu benehmen wusste, und alles, was ihr einfiel, war, ihn anzuschnauzen.
Sie wollte gerade die Situation entschärfen, als ein weiterer junger Kerl an ihrem Tisch aufkreuzte. Mit einem breiten Grinsen schlug er Enrique auf die Schulter.
»Kaum lässt man dich mal ein paar Minuten allein, reiÃt du gleich eine scharfe Braut auf!«
Enrique schüttelte den Kopf. »Marek, das ist Astarte. As tarte, das ist mein Freund Marek. Obwohl ich nicht genau weiÃ, ob er das noch länger bleiben wird.«
»Eine scharfe Braut , was?« Astartes Augen blitzten. »Was macht ihr beiden? Habt ihr so eine Art Wettbewerb laufen, wer am schnellsten jemanden abschleppt?«
Enrique sackte in sich zusammen. Dem Kleinen dagegen schien es überhaupt nichts auszumachen.
»Ich liebe Frauen mit Feuer«, erklärte er, und sein Grinsen wurde noch breiter.
Astarte lag die bissige Erwiderung auf der Zunge, doch dann sah sie ihn mit dem Auge zwinkern und konnte nicht anders, als sich seinem Grinsen anzuschlieÃen. Nur Enrique machte ein Gesicht, als traue er dem plötzlichen Frieden nicht.
»Nun komm schon, Mann, setz die Trauermiene ab«, forderte ihn Marek auf. »Wir sind doch alle Freunde. Was trinkt ihr?«
Astarte stellte zu ihrer Ãberraschung fest, dass sie den Kleinen mochte. Und wenn Enrique mit ihm befreundet war, dann konnte er wohl so schlimm auch nicht sein.
Vor wenigen Minuten hatte sie nichts anderes gewollt, als von hier zu verschwinden. Jetzt entschied sie sich, noch ein wenig zu bleiben.
6.
Zwei Stunden später verlieà sie mit Enrique die Diskothek.
Es war zwei Uhr morgens, und noch immer bummelten Gruppen von vorwiegend jungen Menschen die Bürgersteige entlang. Die einen kamen aus dem Kuppelquartier, in dessen Lokalen eine Sperrstunde weitgehend unbekannt war. Die anderen kehrten aus einem der Fernsehstudios, in denen ebenfalls rund um die Uhr aufgezeichnet wurde, nach Hause zurück oder machten einen Abstecher in eine der zahlreichen Diskotheken, die sich in dieser Gegend angesiedelt hatten. Es war die Ansammlung alter Fabrikgebäude, die noch nicht dem Expansionsdrang der Verwaltung zum Opfer gefallen war, die den Bezirk so attraktiv für Freizeitunternehmer machte. Fast wöchentlich eröffnete eine neue Disco in irgendeiner verlassenen Produktionshalle, schloss aber oft ebenso schnell wieder.
»Siehst du«, sagte Astarte. »Die StraÃen sind noch belebt. Deine Sorgen sind also unbegründet.«
»Hier vielleicht.« Enrique deutete nach vorn. »Aber im Kuppelquartier sieht es anders aus. Und genau da ist es, wo der Florist zuschlägt.«
»Ich bin den Weg schon so oft gegangen, und nie ist etwas passiert«, widersprach sie.
»Das haben sich die bisherigen Opfer wahrscheinlich auch gedacht. Und jetzt liegen sie in der Leichenhalle.«
Astarte schwieg. Eigentlich fand sie es gut, von jemandem nach Hause gebracht zu werden, der nicht bei jeder Gelegenheit versuchte, sie zu berühren oder sich an sie zu pressen. Andererseits konnte sie die Motive ihres Begleiters nur schwer einschätzen. War er wirklich der Kavalier, der zu sein er vorgab? Sie hatte immer gedacht, diese Gattung Mann sei schon längst ausgestorben.
Vor einem Fabriktor drängte sich eine Menschenmenge, und sie mussten auf die Fahrbahn ausweichen, um daran vorbeizukommen.
»Dein Freund Marek ist ein witziger Bursche«, wechselte sie das Thema und blickte Enrique von der Seite an. »Und so ganz
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