Das Wörterbuch des Viktor Vau
Sie grinste. »Wir wollen es nicht übertreiben.«
»Aber wir treffen uns wieder?«
»Warum nicht?«
Enrique winkte der Kellnerin und verlangte die Rechnung, aber Astarte bestand darauf, ihren Tee selbst zu bezahlen.
»Vielleicht komme ich beim nächsten Mal in dein Bistro«, sagte sie, als sie auf dem Bahnsteig standen.
»Aber bitte nur, wenn ich nicht arbeiten muss«, erwiderte Enrique.
»Hast du etwa keine Lust, mich zu bedienen?«, fragte sie grinsend.
Der einfahrende Zug bewahrte ihn vor einer Antwort. Er hätte auch nicht gewusst, was er darauf erwidern sollte. Es fiel ihm schwer, sich an einem solchen spielerischen Schlagabtausch zu beteiligen, und das nicht nur, weil er die Sprache noch nicht genug beherrschte. Marek hatte schon recht, wenn er Enrique als ernsthaften Menschen bezeichnete. Ihm fehlte einfach die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit des Denkens, um sich ganz im Augenblick zu verlieren.
Während er ihrer Bahn hinterhersah, dachte er darüber nach, was für ein Zufall es war, dass sie für Viktor Vau arbeitete.
3.
Dagombé
Winter wartete vor der Tür des Hotels, bis die Limousine mit dem zweiten wichtigen Gast des Tages vorfuhr. Auch sie begleitete, wie bei Fitzsimmons, ein klappriger Minibus mit Gepäck und Gefolge. Er winkte dem Hotelportier, der gerade zum Fahrzeug eilen wollte, ab und zog selbst die Tür auf. Mit einem unwilligen Grunzen kletterte der Fahrgast heraus.
Armand de Moulinsart hatte seine mausartigen Züge hinter einer groÃen Sonnenbrille verborgen. Der Schweià lief ihm das Gesicht herunter. Er begrüÃte Winter mit einem kurzen, feuchten Händedruck. Mit seinem weiÃen Leinenanzug und dem breitkrempigen Panamahut erinnerte er an einen GroÃgrundbesitzer, der sich beim Rumpunsch auf der Veranda seines Anwesens weitaus wohler fühlte als hier, mitten unter dem gemeinen Volk.
»Wie halten Sie das hier nur aus?«, fragte er, während er sich mit einer Zeitschrift Luft zufächelte und Winter ins Hotelfoyer folgte. Er bleckte kurz seine Zähne, eine nervöse Angewohnheit, wie Winter wusste.
»Gewohnheit«, erwiderte Winter. »Wenn Sie erst mal ein paar Tage hier sind, nehmen Sie die Hitze gar nicht mehr wahr.«
»Das bezweifle ich.« De Moulinsart sah sich in der Lobby um. »Ich vermute, Sie haben die Klimaanlagen im Land mutwillig abgeschaltet, um uns Qualen zu bereiten.«
»Sie überschätzen meinen Einfluss.« Winter machte eine angedeutete Verbeugung. »Herzlich willkommen in Dagombé.«
»Schon gut, schon gut«, winkte de Moulinsart ab. »Sparen Sie sich die Formalitäten. Sie würden mich doch lieber heute als morgen wieder abreisen sehen. Ist Fitzsimmons schon eingetroffen?«
Winter nickte. »Er erwartet uns an der Bar.«
»Wo auch sonst? Mich wundert, dass er überhaupt noch eine funktionierende Zelle in seinem Gehirn hat. Wahrscheinlich hat er Ihnen bereits ein Angebot gemacht?« Er schielte lauernd zu seinem Begleiter hoch.
»Wollen Sie mitbieten?«
»Ich halte nichts von Söldnern. Wer einmal käuflich ist, ist immer käuflich.«
Winter lächelte. »Also haben Sie auf Ihre alten Tage die Moral entdeckt?«
De Moulinsart rollte die Zeitschrift zusammen und stieà Winter damit gegen die Brust. »Das ist der Unterschied zwischen Ihnen, Fitzsimmons und mir. Sie beide kennen nicht einmal die Bedeutung des Begriffs Moral.«
»Im Gegensatz zu Ihnen?« Joel konnte den Sarkasmus in seiner Stimme nicht verbergen.
»Meine Aufgabe ist es, den Staat zu schützen und damit auch seine Bürger. Das ist nicht nur eine technische, sondern auch eine ethische Aufgabe. Sie haben die Ethik bereitwillig gegen ein Bündel Geldscheine eingetauscht. Fitzsimmons hat nur seinen Aufstieg in die Dynastie im Auge. Er würde auch tote Schweine verkaufen, um dieses Ziel zu erreichen.«
»Ich wusste gar nicht, dass IED für Internationaler Ethik Dienst steht«, grinste Winter, der genau wusste, was de Moulinsart in den Jahren an der Spitze des Dienstes beiseitegeschafft hatte. Unter anderem war er Mitinhaber mehrerer Tarnfirmen, die der IED gegründet hatte, darunter ein Flugunternehmen und eine Beratungsgesellschaft.
»Machen Sie sich nur lustig.« De Moulinsart hatte Mühe, mit Winter Schritt zu halten, der sich auf den Weg zur Bar gemacht hatte. »Irgendwann werden auch Sie Rechenschaft ablegen
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