Das Wörterbuch des Viktor Vau
war zwar gerade erst sieben Uhr, aber Fellner konnte sich vorstellen, welche Arbeit sie meinte.
»Frühschicht?« Er nickte verständnisvoll. »Hat die Kollegin Ihre Personalien aufgenommen?«
»Schon lange.« Sie wedelte mit der Hand, und Fellner zog unwillkürlich den Kopf zurück, um nicht versehentlich von einem ihrer künstlichen Fingernägel getroffen zu werden.
»Dann erzählen Sie mir doch, wie Sie das Opfer entdeckt haben, und Sie können gehen«, sagte er.
»Das ist keine groÃe Geschichte. Wenn ich zur Arbeit aufbreche, nehme ich immer den Müll mit raus. Und als ich damit am Container war, habe ich sie sofort gesehen. Dann habe ich sofort die Polizei angerufen.«
»Und Sie haben vorher nichts Verdächtiges gehört oder gesehen?«
»Zu sehen gibt es da nicht viel, meine Wohnung geht nach vorn raus. Und gehört hab ich auch nichts.«
»Wann sind Sie denn gestern Abend nach Hause gekommen?«
Sie lachte heiser. »Heute. Das war so gegen zwei Uhr. Da bin ich aber nicht noch im Hof herumgelaufen.«
»Na schön. Ich hoffe, Sie haben das Opfer nicht angefasst oder bewegt?«
Die Frau blickte ihn angewidert an. »Wo denken Sie hin? Die ist mausetot, das hab ich sofort gemerkt.« Für sie schien der Fund einer Leiche keine besondere Sache zu sein.
Fellner betrachtete sie näher. Sie konnte höchstens dreiÃig sein, schätzte er. Sie war nicht unattraktiv, aber um ihre Mundwinkel herum zeichnete sich eine gewisse Härte ab. Frauen wie sie traf man im Kuppelviertel zuhauf. Sie mussten von frühester Jugend an um ihren Lebensunterhalt kämpfen, was sie dem Leid ihrer Mitmenschen gegenüber abstumpfen lieÃ. In wenigen Jahren würde sie diese Härte nicht mehr unter ihrem Make-up verstecken können.
»Also gut«, sagte er. »Dann dürfen Sie jetzt gehen. Sie werden aber noch mal aufs Polizeirevier kommen müssen, damit wir Ihre Aussage schriftlich aufnehmen. Und ich möchte Sie bitten, vorher der Presse nichts zu sagen.«
»Kein Problem, SüÃer. Ich weiÃ, wie ich hier unbemerkt rauskomme.« Sie verschwand im Hintereingang des Hauses. Fellner hoffte, dass sie wusste, was sie tat.
Er trat zwischen die Container, um endlich die Leiche in Augenschein zu nehmen. Die Tote war unbekleidet. Sie hatte schwarzes, kurz geschnittenes Haar und lag auf der Seite. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere, und ihre Lippen waren zur Parodie eines Lächelns verzerrt. Auf ihrem Hals prangte ein schmaler tiefroter Streifen.
Fellner zog zwei durchsichtige Plastiktüten aus der Jackentasche, stülpte sie über seine Schuhe und stieg über den Körper hinweg. Wie er erwartet hatte, war ein Stück Haut aus dem Rücken herausgeschnitten worden. Ansonsten wies sie keinerlei Spuren von Folter auf wie das vorherige Opfer. Entweder hatte der Täter seine Methode erneut geändert, oder es hatte ihm die Zeit gefehlt, sich ausführlicher mit ihr zu befassen.
Fellner warf einen Blick auf die umliegenden Häuser. Aus vielen Fenstern lehnten die Bewohner, um das Geschehen im Hof zu verfolgen. Seine Leute würden jeden Einzelnen von ihnen befragen müssen. Vielleicht gab es ja diesmal einen Hinweis auf die Identität des Täters, obwohl er das bezweifelte. Es kam ihm fast so vor, als wolle der Florist die Polizei bewusst herausfordern.
In der Toreinfahrt gab es Bewegung. Das Team der Spurensicherung und der Gerichtsmediziner waren endlich eingetroffen. Fellner suchte noch einmal die Fläche hinter den Containern ab, fand aber nichts, was ihm einen Hinweis gegeben hätte.
»Unser Blumenfreund?«, fragte der Fotograf, der bereits sein Stativ aufbaute.
»Sieht so aus.« Fellner stieg über die Tote zurück in den Hof. Dabei fiel ihm auf, dass er nirgendwo einen Müllbeutel entdecken konnte. Hatte die Frau, die die Leiche gefunden hatte, ihren Abfall tatsächlich noch in den Container geworfen, bevor sie die Polizei informiert hatte?
Er schüttelte den Kopf. Trotz seiner vielen Jahre im Polizeidienst würde er manche Leute nie verstehen. Er zog sich die Plastikhüllen von den Schuhen und stopfte sie in die Tasche. Dann wies er die uniformierten Beamten an, die Toreinfahrt zu räumen und zur StraÃe hin abzusperren.
Die Schaulustigen waren nicht damit einverstanden, abgedrängt zu werden, und folgten den Anweisungen der Beamten nur widerwillig,
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