Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Aber Niccolo hatte nicht vor, das einem dieser Männer auf die Nase zu binden.
» Hat Cesare dir jemals erklärt, wie der Aether entstanden ist? «, fragte der Herzog.
Niccolo schüttelte den Kopf. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Alessia außen am Fenster vorbei in Richtung der Stallungen schlenderte. Der Wind wirbelte ihr rotes Haar auf wie einen Flammenkranz.
» Drachenatem «, sagte der Schattendeuter. » Aether ist nichts anderes als Drachenatem. «
Der Priester murmelte tonlos ein Gebet an den allmächtigen Zeitwind, widersprach aber nicht. Augenscheinlich akzeptierte selbst er diese Aussage als Tatsache.
» Drachen atmen Luft ein wie wir «, erklärte der Herzog. » Doch das, was sie ausatmen, ist reiner Aether. Er steigt nach oben auf und sammelt sich jenseits des Himmels. «
Niccolo war überrascht, aber nicht besonders beeindruckt. Was brachte es ihnen schon, das zu wissen? Sein Schulterz u cken signalisierte Unverständnis.
» China ist ein Land der Drachen «, sagte der Schattendeuter. » Seine Bewohner verehren sie wie Götter. «
Der Zeitwindpriester betete noch schneller und schloss die Augen wie Scheuklappen vor der Wahrheit.
» Kurzum «, sagte Herzog Jacopo, » jemand muss zum Erdb o den hinabsteigen, einen Drachen aufspüren und den Aether aus seinen Nüstern einfangen. Genug davon, um die Pumpen wieder in Gang zu setzen. «
» Da wir wissen, dass dein Vater Chinesisch gesprochen hat, hatten wir gehofft, er könnte diese Aufgabe übernehmen. «
In Niccolo nahm eine wilde Hoffnung Gestalt an.
» Ich kann gehen! «, platzte er heraus, bevor er sich überhaupt klar gemacht hatte, was er da sagte. » Ich spreche chinesisch. Und russisch. Ein bisschen japanisch. Einen indischen Dialekt. Ich kann sogar – « Er bremste sich selbst in seiner Euphorie und hätte am liebsten die Hand vor den Mund geschlagen.
Der Herzog seufzte. » Wie sollte es auch anders sein … Schließlich konnte dein Vater sein Leben lang keinem Verbot über den Weg laufen, ohne es wenigstens im Vorbeigehen zu übertreten. «
» Ihr habt meinen Vater gekannt? «, fragte Niccolo verblüfft.
» Wir waren einmal Freunde. Vor sehr langer Zeit. «
» Und trotzdem habt Ihr ihn – «
» Die Verantwortung für seine Verbannung lag allein bei ihm. «
Der Schattendeuter räusperte sich. » Bitte, meine Herrn, zurück zur Sache. Dein Vater, Junge, ist also tot. Demnach sieht es aus, als wärest du in der Tat der einzige Mensch auf der Insel, der sich dort unten verständigen kann. «
» Er ist noch ein halbes Kind! «, hielt der Zeitwindpriester dagegen.
» Dann wisst Ihr sicher eine bessere Lösung! «, fuhr ihn der Herzog unerwartet heftig an.
Der Priester wollte protestieren, kniff dann aber nur schwe i gend das Gesicht zusammen.
Niccolo dachte an den Abgrund, der unter ihnen lag, weitere tausend Meter Nichts. Die Vorstellung vermochte ihn kaum mehr zu schrecken.
» Jemand muss ihn begleiten «, unterbrach der Priester seine Gedankengänge. » Es wäre doch absurd, eine solche Verantwo r tung in die Hände dieses Jungen zu legen. Eines Ausgesto ßenen! «
» Wollt Ihr vielleicht mit ihm gehen? «, fragte der Schattende u ter amüsiert.
» Und meine Gemeinde auf sich allein gestellt zurücklassen? «
Carpi nickte verschmitzt. » Natürlich nicht. «
Der Herzog ging im Raum auf und ab, was sich als schwierig erwies, weil noch immer überall die eingestürzten Bücherstapel lagen. Er setzte die Füße äußerst vorsich tig, so als könnte er sich an den Buchdeckeln die Zehen verbrennen.
» Vielleicht Soldaten? «, schlug er vor.
» Zu auffällig «, hielt der Schattendeuter dagegen. » Jemand würde ihrer Spur folgen und herausfinden, was sich auf diesen Wolken verbirgt. Nein, einer allein hätte es leichter. Allerhöch s tens zwei. «
» Ich gehe mit «, erklang es vom offenen Eingang her.
» Niemals! «, stieß Niccolo aus.
Alessia de Medici trat zurück ins Haus. Stroh klebte an ihren Schuhen. Demnach war sie im Stall gewesen.
» Vater, bitte. « Sie achtete nicht auf Niccolos Protest. » Lass mich mitgehen. Ich kann auf ihn aufpassen. Jemand muss das tun. «
Sie bekam unerwartete Hilfe vom Zeitwindpriester, sicher nur weil der eine Chance witterte, die unliebsame Erbin des Herzogs loszuwerden. » Das Fräulein Alessia hat Recht. Glaubt Ihr denn wirklich, wir sähen ihn sonst jemals wieder? Schaut Euch doch nur um! Dieses ganze Haus riecht nach Rebellion und Aufruhr. Auf einen Tag wie diesen hatte sich
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