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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verborgenen Falltür im Boden standen, breit genug, um drei Ochsen nebeneinander hindurchzutreiben.
    Unter der Falltür hatte man Stufen in die weiße Wolkenmasse des Untergrunds geschnitten. Es war verboten, Löcher in die Wolken zu treiben, doch augenscheinlich galt dieses Gesetz nicht für den Herzog und seine Getreuen.
    Die Männer nahmen Niccolo in ihre Mitte. Das war ihm unangenehm, aber er brannte vor Neugier auf das, was am Ende der Treppe lag. Um die Wahrheit herauszufinden, hätte er Schlimmeres in Kauf genommen.
    Er hatte sich oft gefragt, wie dick der Wolkengrund wohl war, auf dem sie alle ihr Leben fristeten. Jetzt erhielt er die Antwort: Mehrere Minuten lang stiegen sie Stufen hinab, ehe sie ans Ende gelangten. Die Wände des Treppenschachts waren grau wie Nebel, aber ein schwacher Schein glomm in ihrem Inneren, Tageslicht, das von oben und unten durch den erstarrten Dunst drang.
    Nach einer Weile wurde es wieder heller, und bald erkannte Niccolo den Grund. Die Stufen führten in eine Halle, hoch wie ein Haus und so groß wie der Innenhof des herzoglichen Anwesens. Ihr Boden bestand aus Wolkenmasse, so dünn, dass das Licht von unten sie milchig erglühen ließ. Im Zentrum der Halle führte eine glatt e R ampe weiter nach unten. An ihrem Ende befand sich ein horizontales Gitter, das mit Hilfe einer Seilwinde geöffnet werden konnte.
    Jenseits davon … war nichts! Nur der leere, windige Abgrund und tausend Meter tiefer der Erdboden, eine verschwommene Masse aus Baumwipfeln und bizarr geformten Felsen.
    Oberhalb der Rampe standen drei seltsame Geräte aus Stäben und Seilen, die Ähnlichkeit mit karrengroßen Vogelskeletten hatten. Rechts und links an einer mannsgroßen rechteckigen Platte voller Ledergurte und Haltegriffe waren zwei bewegliche Flügel angebracht, geformt wie die einer Fledermaus und mit dünnem Leder bespannt. Ihre inneren Enden lagen überkreuz und waren über Seilwinden mit Pedalen verbunden. Niccolo hatte noch nie eine solche Konstruktion gesehen, aber es gehörte nicht viel dazu, sich vorzustellen, welchem Zweck sie dienten.
    Erst jetzt, schlagartig, realisierte er, dass er fliegen würde. Dieselbe Angst, die er bisher so stoisch ignoriert hatte, brach in einem eiskalten Schwall an die Oberfläche und ließ sich nicht länger verdrängen.
    » Es ist nicht schwer «, sagte der Herzog.
    » Habt Ihr es je ausprobiert? «, fragte Niccolo heiser.
    » Nein. Aber diejenigen, die es benutzt haben, behaupten, dass nicht viel dazugehört. «
    » Diejenigen, die zurückgekehrt sind «, bemerkte der Schatte n deuter. » Aber das ist viele Jahre her. «
    » Blasphemie «, flüsterte der Priester, aber auch er sah diesen Ort und die wunderlichen Fluggeräte offenbar nicht zum ersten Mal.
    » Dir bleibt wenig Zeit «, sagte der Herzog.
    » Ich soll mich auf so einem Ding in den Abgrund stürzen, ohne vorher damit zu üben? «
    » Niemand hat gesagt, dass es leicht wird. « Das Grinsen des Schattendeuters verriet seinen Galgenhumor.
    » Niemand hat gesagt, dass es Selbstmord ist «, hielt Niccolo dagegen.
    Der Priester schlug das Zeichen des Zeitwinds.
    » Cesare hätte es versucht «, sagte der Herzog.
    Niccolos Augen verengten sich. » Wie gut habt Ihr ihn g e kannt? «
    Beinahe lag so etwas wie Trauer im Blick des Herzogs.
    » Ich habe dir gesagt, dass wir Freunde waren … Auch wenn das lange her ist «, fügte er mit einem Blick auf den argwöhn i schen Zeitwindpriester hinzu.
    Zögernd trat Niccolo näher an eine der drei Flugmaschinen. Vielleicht war es nur richtig, dass er seinem Vater folgte. Cesare war in den Tod gestürzt – aber war es wirklich ein Unfall gewesen? Oder war er eines Morgens erwacht und hatte gespürt, dass seine Sehnsucht nach dem Erdboden zu groß geworden war?
    Niccolo hatte immerhin eine Chance, heil dort unten anz u kommen. Das Wagnis war er seinem Vater schuldig, denn in einem hatte der Herzog tatsächlich Recht: Cesare hätte es versucht, koste es, was es wolle.
    » Du hast eine Nacht, um dich mit dem Luftschlitten vertraut zu machen «, sagte der Herzog. » Mehr nicht. «
    » Gibt es denn niemanden, der mir zeigen kann, wie dieses Ding funktioniert? «
    Herzog Jacopo warf dem Priester einen Blick zu, der beinahe vorwurfsvoll wirkte, dann schüttelte er den Kopf.
    » Nein. «
    Niccolo ging vor dem Fluggerät in die Hocke, berührte die Flügelbespannung, die Pedalen, die straff gezogenen Seilzüge. Die Maschine sah nicht aus wie etwas, das seit siebzehn Jahren

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