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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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beinahe heruntergebrannt, als Niccolo geduckt aus den Büschen trat.
    Vor ihm auf einer Lichtung im Bambuswald befand sich eine Ansammlung bunt bemalter Pferdekarren. Ihre Besitzer hatten sie in vier Reihen nebeneinander gestellt. Die Pferde waren abgespannt und in eine provisorische Koppel am Rand des Lagers getrieben worden. An den Runddächern der meisten Wagen baumelten Lampions im leisen Nachtwind, aber sie spendeten nur gedämpftes Licht. In manchen waren die Kerzen bereits erloschen, in anderen zuckten absterbende Flammen auf niedergebrannten Wachsstümpfen. Die Dunkelheit kroch unter den Karren hervor und breitete sich über die Lichtung aus.
    Ein Wagen, der längst in völliger Finsternis lag, befand sich am äußersten Ende einer Reihe. Er war breiter und höher als die übrigen. Die Malereien auf seinen Holzwänden zeigten ve r schlungene Drachenleiber mit spitzen Schädeln, glühenden Augen und flammenden Goldmähnen. Mittlerweile war es zu dunkel, um solche Einzelheiten zu erkennen, aber Niccolo hatte seit Anbruch der Dämmerung im Unterholz ausgeharrt und genug Zeit gehabt, jedes Detail zu betrachten.
    Der Drache im Inneren des Wagens gab keinen Ton vo n s ich. Keinerlei Laut drang ins Freie, schon seit Stunden. Niccolo stellte ihn sich vor: eingepfercht und gedemütigt, ein Gefang e ner, dessen gewaltiger Schlangenleib den Innenraum des Gauklerkarrens bis zum Bersten ausfüllen musste.
    Er wusste nichts über Drachen – wie sie lebten, wie sie dac h ten, wie man sie in Gefangenschaft hielt –, aber er wunderte sich seit seiner Ankunft, warum das gewaltige Wesen den Wagen nicht einfach zertrümmerte, seine Wärter bei lebendigem Leibe verschlang und sich davonmachte. Es musste sich um einen besonders friedfertigen oder kranken Drachen handeln.
    Nachdem der alte Mann ihm von der Gauklertruppe berichtet hatte, die einen halben Tagesmarsch vom schwimmenden Dorf entfernt ihr Lager aufgeschlagen hatte, hatte Niccolo sich ausgerüstet. Erst einmal hatte er die Hälfte seiner Silberbrocken in die Währung dieser Region umgetauscht, eckige Silberbarren ohne Prägung, die es in unterschiedlichen Größen gab, bis hin zu winzigen Einheiten, kleiner als sein Fingerglied. Anschli e ßend hatte er neue Kleidung gekauft, die im Gegensatz zu seiner alten kein Aufsehen erregen würde; er trug jetzt wollene hellbraune Hosen über flachen Lederschuhen, ein weites, oberschenkellanges Wams, das eng um die Taille gegürtet wurde, und einen Strohhut, der sich kaum von dem Wisperwinds unterschied. Die Krempe war so breit wie sein halber Unterarm und beschattete am Tag seine Augen. Im Moment hatte er ihn nach hinten gestreift, wo er an einem Band über dem Bündel auf seinem Rücken hing.
    Im Inneren des Bündels befanden sich neben frischen Vorräten und seinem Silber mehrere Lederschläuche, wi e s ie von den Einheimischen zum Transport von Wasser und Reiswein benutzt wurden. Niccolo hatte nicht die geringste Ahnung, wie er den Aether des Drachen dort hineinbekommen sollte, aber es war die einzige Möglichkeit, die ihm eingefallen war. Er wusste nicht, ob die Menge, die hineinpasste, ausreichte, um wenigstens ein paar der Pumpen in Gang zu bringen; noch war ihm klar , wie viele Pumpen überhaupt wieder laufen mussten, um die Wolke n insel zurück in die Hohen Lüfte zu tragen. Er bezweifelte, dass der Herzog oder sein Schattendeuter eine Antwort darauf wussten. Diese ganze Mission fußte auf nichts als vagen Ideen, Mutmaßungen und, so wie es aussah, auf der verzweifelten Hoffnung, schlichtweg Glück zu haben.
    Mit Letzterem sah es bislang eher mager aus.
    Die merkwürdige Stille, die den Drachenwagen des Gaukle r konvois umgab, war nicht dazu angetan, Niccolo von einer Wende seines Schicksals zum Besseren zu überzeugen. Etwas stimmte hier nicht, und er hätte blind und taub sein müssen, um das nicht zu bemerken.
    Er hatte das dichte Unterholz jetzt verlassen, ging aber am Rand des Dickichts erneut in die Hocke und blickte hinüber zum Lagerplatz. Zwischen den Wagen brannten Lagerfeuer, von dort drangen Stimmen zu ihm herüber. Nicht viele, wahrscheinlich hatten sich die meisten Gaukler längst in ihre Wagen zurückg e zogen. Einmal hörte er ein unheilvolles Knurren, aber es kam nicht aus dem Wagen des Drachen, sondern aus einem anderen, dreißig Meter entfernt; auf ihn waren Darstellungen wilder Tiger gemalt. Niccolo schauderte, als sich die Laute wiederholten und von Mal zu Mal aggressiver klangen.
    Ein Mann tauchte

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