Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
er hervor.
Nugua hob die Schultern. » Es hat gerade erst angefangen. Plötzlich waren sie da. Und diese Stimme. «
Eine Stimme? Niccolo horchte. Er hörte nichts. Hatten Dr a chen etwa bessere Ohren als er? Nein, verflixt, sie war kein Drache. Jedenfalls keiner mit Drachenohren.
Erst jetzt wurde ihm klar, weshalb er nichts hörte. Feiqing wedelte aufgebracht mit seinem Echsenschwanz, peitschte Staub und kalte Asche auf.
» Feiqin g «, sagte er, » h ör auf damit! «
» Ich kann nich t «, erwiderte der verängstigte Rattendrache.
» Dann gib dir Mühe! «
Feiqing stampfte sich jammernd mit dem rechten Drachenfuß auf die Schwanzspitze. Das ließ ihn aufheulen, hielt aber auch den wedelnden Schwanz am Boden fest.
Niccolo horchte erneut.
Jetzt hörte er es auch. Ein zartes, leises Singen. Es kam aus derselben Richtung, in die auch die Schwerter flogen.
» Wir sollten hier wirklich verschwinde n «, sagte Feiqing.
» Ich schaue nac h «, entschied Nugua, ohne abzuwarten, was Niccolo dazu meinte. Sie knüllte die Drachenhaut mit zwei Handbewegungen zusammen und ließ sie in ihrem Bündel verschwinden. Ehe er sie zurückhalten konnte, eilte sie schon durch den mondbeschienenen Wald bergab.
» Nugua! «
» Das wird übel ende n «, zeterte Feiqing. » Ganz übel enden, ich sag ’ s dir! «
» Wir müssen ihr nachgehen. «
» Sie ist verrückt! « Feiqing schüttelte hektisch das Drache n haupt. » Diese Dinger werden uns aufspießen! An den Boden nageln! In Scheiben schneiden! «
Niccolo blickte am Verlauf des Bogens entlang. » Das ist nicht weit von hier. Ein Stück den Hang hinunter. « Er setzte sich in Bewegung. » Kommst du mit? «
» Nein! «
» Dann warte hier. « Niccolo ergriff sein eigenes Bündel, hängte sich den schwarzen Mandschubogen und den Köcher um und lief los.
Feiqing hastete auf seinen Stummelbeinen hinterher.
Niccolo sah über die Schulter. » Ich denke, du bleibst? «
» Ganz bestimmt nicht allein! «
Nugua wusste offensichtlich besser als sie, wie man sich in dichtem Waldland bewegte. Trotzdem holten die beiden sie bald ein. Im Gegensatz zu ihnen nutzte sie jed e D eckung, schlich geduckt und wich trockenem Astwerk aus. Niccolo und Feiqing hingegen verursachten bei ihrem Lauf durchs Unterholz einen schrecklichen Lärm, stolperten über jede Wurzel und scheuchten Tiere auf, die quietschend davonwuselten.
Nugua baute sich vor ihnen auf. » So geht das nicht! «, flüsterte sie. » Ihr seid zu laut. «
» Ach? « Feiqing zeigte an seinem breiten Leib hinunter. » Ve r such du mal, damit zu schleichen. «
Sie warf resignierend die Arme in die Luft und huschte weiter. Niccolo blieb auf ihrer Spur und ahmte ihr Schleichen nach, was ihn tatsächlich leiser werden ließ. Nicht dass das viel ausmachte, solange Feiqing wie ein Rhinozeros hinter ihnen herwalzte.
» Müssten wir nicht bald da sein? «, flüsterte Niccolo.
Nugua deutete nach oben. Sterne blitzten durchs Blätte r dach. » Es hat aufgehört. «
Sein Blick folgte ihrer ausgestreckten Hand. Tatsächlich war der sirrende Schwerterstrom versiegt. Niccolo gab Nugua und Feiqing mit einer Geste zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollten. » Psst! «, machte er und horchte.
Auch der Gesang war verklungen. Eine unheimliche Stille lag über dem Bergwald. Nicht einmal die ewig vorlauten Affen schrien im Dickicht der Bambusstämme. Die einzigen Laute kamen aus Feiqings Drachenbrust, die sich rasselnd hob und senkte.
» Das kann nicht gut gehen! «, japste der Rattendrache.
Nugua und Niccolo liefen wieder los. Feiqing seufzte und folgte ihnen widerstrebend.
Vor ihnen öffnete sich eine Lichtung. Der Anblick raubte Niccolo den Atem. Hunderte, tausende Schwerte r s teckten mit den Klingen im Boden, eines neben dem anderen. Keine Handbreit, in die kein schimmernder Stahl gerammt war. Die Griffe und schmalen Kreuzstangen waren schmucklos und so silbern wie die Klingen. Ein kaum merkliches Wabern schien sie zu umgeben, als läge eine Schicht Glas zwischen ihnen und den drei staunenden Betrachtern am Waldrand: Glas, an dessen Rückseite eine Wasserschliere hinabrann und den Blick trübte.
Weitere Schwerter steckten waagerecht in den Bäumen rings um die Lichtung. Manche hatten die Stämme durchschlagen, ihre Spitzen ragten an der Rückseite hervor, umgeben von Sternen aus gesplittertem Holz. Eine Buche war umgestürzt, zu viele Schwerter auf einmal hatten ihren Stamm durchlöchert.
Die Klingen in den Bäumen waren nicht
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