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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Begegnung zu ihm zurück. Ihr Geruch, die Berührung ihrer Hand, das Gefühl, eine Verbindung zu spüren, die ganz plötzlich da war. All das legte sich sogar über seine Sorge um die Wolkeninsel, und das bereitete ihm ein wirklich schlechtes Gewissen.
    Lis Worte rissen ihn aus seinen wehmütigen Grübeleien und Schuldgefühlen. » Was ist ein Fangshi? «, fragte er.
    » Ein Wunderheile r «, sagte Nugua. Sie klang wieder einmal mürrisch, so als wüsste sie genau, an wen Niccolo gerade gedacht hatte.
    » Ein Magier! «, rief Feiqing begeistert.
    Meister Li schlug sich mit der linken Hand auf den gewaltigen Bauch. Manchmal schien er das zu tun, um sein Vergnügen zu zeigen, auch wenn er nicht dabei lachte. » Nichts von beide m «, widersprach er, » u nd doch von beidem ein bisschen. «
    » Ah a «, machte Niccolo und verstand nichts.
    » Früher waren die Fangshi die offiziellen Magier des Ka i ser s «, erklärte Feiqing und ließ Li dabei nicht aus den Augen. » Aber das ist vorbei, seit die Mandschu China besetzt halten. Der Kaiser, den sie auf den Thron gesetzt haben, ist nur eine Strohpuppe. Eigene Berater wie die Fangshi sind ihm nicht gestattet. Stattdessen ist er von einem engen Kreis von Ma n dschuministern umgeben, die jede Entscheidung für ihn treffen. «
    » Dunkle Zeite n «, bestätigte Meister Li.
    Feiqing war nun wieder ganz in seinem Element. Seine Schwanzspitze wedelte vor Begeisterung. » Die Fangshi waren weise Männer, die nach den Regeln des Tao lebten, nach den Lehren des Weisen Laotse. Sie waren bedeutende Weissager, Himmelsdeuter und Ärzte, und manche von ihnen konnten Dämonen austreiben. Für den Kaiser haben sie sogar Verbi n dung zu den Geistern der Toten aufgenommen. «
    Niccolo schenkte Li einen argwöhnischen Seitenblick, aber der grinste nur mit dicken Backen.
    » Viele Fangshi kamen zu großem Reichtum – «
    » Nicht ic h «, bemerkte Li.
    » – und zu noch größerem Einfluss. «
    » Das ist lange her. «
    Feiqing ließ sich davon nicht beirren. » Manchen sagte man nach, sie wüssten um das Geheimnis der ewigen Jugend - «
    Li winkte ab. » Gerede. «
    » – und die Unsterblichkeit. «
    Niccolo runzelte die Stirn. » Aber was wurde aus den Fangshi, nachdem die Mandschu sie vom Kaiserhof vertrieben hatten? «
    Feiqing stutzte und sah wieder Li an. » Ja … was eigentlich? «
    » Sie zogen sich ins Verborgene zurüc k «, sagte der Mann mit der Lanze. » In geheime Keller unter der Hauptstadt. In die Wälder und Berge. Manche fuhren gar aufs Meer hinaus – «
    Feiqings Augen leuchteten. » Um die Insel der Unsterblichkeit zu finden? «
    » Nei n «, sagte Li, » u m schneller zu sein als die Mandschu, die ihnen die Haut abziehen wollten. «
    Nuguas Gesicht schien selbst dann beständig im Schatten zu liegen, wenn Sonnenschein durch die Lücken zwischen dem schroffen Felsen fiel und ihr Weg durch ein Raster von Hell und Dunkel führte. » Du siehst nicht alt genug aus, um dich an die Zeiten vor der Mandschuherrschaft zu erinnern. «
    Li lächelte geheimnisvoll. » Laotse sagt: Ein guter Weg hat keine Spur. «
    Niccolo blieb stehen und zeigte nach vorne. » Sagt Laotse auch irgendwas über diesen Weg? «
    Vor ihnen endete der Pfad an einer scharfen Felskante.
    Als sie sich dem Abgrund näherten, sah es aus, als sei ein Teil des Berges wie von einer Flut fortgerissen worden. Ein steiler Abhang aus Geröll führte in die Tiefe und ging weiter unten in ein Tal aus schwarzem Gestein über.
    Zum ersten Mal wurde Niccolo bewusst, dass die Landschaft eine andere war als bei ihrem Aufbruch vom Gasthaus. Die Gipfel jenseits des Abgrunds waren so zerklüftet, dass viele von ihnen hochgereckten Fingern ähnelten. Zedern krallten sich mit verästelten Wurzeln an Schwindel erregende Granitnadeln, sogar auf den höchsten Felsspitzen. Sie waren das einzige Anzeichen von Leben weit und breit.
    » Wir sind d a «, verkündete Meister Li.
    » Da? «, fragte Niccolo.
    » Dies ist der Ort, den ihr gesucht hab t «, erklärte der Fangshi und wies mit den Sichelspitzen seiner Lanze in die Tiefe. » Oder zumindest ein Stück davon. «
    Nugua begriff als Erste. » Das da unten ist erstarrtes Lav a gestein? Du meinst, hier ist der Lavastrom vorbeigeflossen? «
    Li nickte.
    Niccolo lachte. » Aber das ist unmöglich! Wir sind nicht mal einen halben Tag unterwegs. « Er zeigte auf die Felsspitzen über ihnen. » Ich wette, wenn ich da hochklettern würde, könnte ich noch immer das Gasthaus sehen.

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