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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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warf einen Blick auf die Landschaft vor und unter ihnen. Das Tal aus erkaltetem Lavagestein schlängelte sich nach Norden. Die Oberfläche hatte Ähnlichkeit mit geschmolzenem Kerzenwachs, der zu bizarren Wogen erstarrt war. Von einem Ufer zum anderen maß das schwarze Band mehr als tausend Meter. Wahrscheinlich war der Boden porös und voller Risse.
    » Sind wir hier noch in Sichuan? «, rief Nugua, während sie die Geröllschräge hinabschlitterte.
    » O ja. « Der Fangshi keuchte vor Anstrengung. » Allerdings viel weiter im Westen als zuvor. Und auch ein gutes Stück weiter nördlich. «
    Bevor Niccolo sich als Letzter über die Kante schob, sah er noch einmal zur bizarren Silhouette der Berge auf der anderen Seite des Tals. Fast widerwillig löste er seinen Blick von dem majestätischen Panorama und folgte Feiqings Wehklagen in die Tiefe.
    * * *
    Aus der Nähe wirkte die erstarrte Lava noch unwirklicher. Als das Gestein flüssig gewesen war, hatte es sich in zähflüssigen Wellen über- und untereinander geschoben. Hier und da hatten sich träge Strudel gebildet, die jetzt wie steinerne Schnecke n häuser in der Oberfläche eingeschlossen waren. An manchen Stellen gab es Auswüchse wie zerklüftete Türme, an anderen mannshohe Bögen.
    » Ihr müsst Acht gebe n «, riet Meister Li. » Manchmal hat das flüssige Magma unter der Oberfläche Tunnel gegraben. Es kann passieren, dass man durch das Gestein bricht und in eine dieser Adern stürzt. «
    » Fließt denn dort noch immer heiße Lava? «, fragte Niccolo.
    » Schon möglich, auch wenn ich noch nie gehört habe, dass jemand so weit von den Lavatürmen entfernt auf flüssiges Gestein gestoßen wäre. Andererseits – keiner weiß genau, woraus sich die Zunge des Stroms speist. Manche vermuten, dass es einen ewigen Zufluss gibt, de r u nterirdisch fließt, auch dort, wo die Oberfläche längst starr und kalt ist. Anders kann ich mir nicht erklären, warum das vordere Ende noch immer weiter vorrückt. « Er zwinkerte Feiqing zu. » Es sei denn, es wäre Magie im Spiel. «
    Niccolo bückte sich und berührte das schwarze Lavagestein. Hinter den Felsfingern im Westen ging die Sonne unter. Die letzten Strahlen brachten winzige Kristalle zum Funkeln, die in der Oberfläche eingeschlossen waren. Es sah aus, als sei das scharfkantige Gestein mit Glitzerstaub gepudert.
    » Gla s «, erklärte Meister Li. » Vor langer Zeit hat die Hitze Sandkörner zum Schmelzen gebracht und in Glas verwandelt. «
    Bald war es zu dunkel, um auf dem porösen Untergrund weiterzumarschieren. Die Risse, Furchen und Falten im Gestein waren gefährliche Stolperfallen, und keinem ging Lis Warnung aus dem Kopf. Bei jedem Schritt knirschten die Glaskristalle unter ihren Füßen, aber ebenso gut mochte es der Boden selbst sein, der jederzeit bereit schien, unter ihnen einzubrechen.
    Rechts und links ragten die steilen Felstürme mit ihren unz u gänglichen Spitzen empor. Niccolo hatte noch nie zuvor Berge wie diese gesehen, und jetzt, als Silhouetten vor dem Nach t himmel, wirkten sie noch fremder und bedrohlicher.
    Meister Li lehnte seine Schaufellanze gegen einen Lavah ö cker. » Lasst uns hier lager n «, sagte er. » Ich übernehme die erste Wache. «
    Niccolo und Nugua wechselten einen Blick. Sie trauten dem Fangshi nicht, auch wenn er ihnen das Leben geret tet hatte. Keiner von beiden würde während seiner Wache ein Auge zutun.
    Feiqing ließ sich auf sein breites gepolstertes Hinterteil fallen, legte sich zurück und schlief auf der Stelle ein. Sein Schnarchen hallte weithin über die schwarze Lavaöde. Niccolo stieß ihn zweimal an, aber schon nach wenigen Augenblicken begann das Getöse von neuem.
    Nugua wälzte sich ruhelos unter der Drachenhaut umher. Obwohl die Winde empfindlich kühl über die scharfen Felsz a cken pfiffen, bat sie Niccolo nicht, mit unter die Haut zu kriechen. Wahrscheinlich ahnte sie, an wen er dachte. Er bekam Mondkind einfach nicht aus dem Sinn. Wenn er die Augen schloss, leuchtete ihr Gesicht hinter seinen Lidern, ihr Lächeln, ihr Blick. Aber das war nicht das Schlimmste. Als sie ihm etwas von seinem Chi entzogen hatte, um ihren Gegner zu bezwingen, da hatte sie in ihn hineingegriffen, und allmählich wurde ihm klar, dass sie dabei Spuren hinterlassen hatte. Es war, als könnte er sie tief in sich sehen, hören, schmecken und riechen, alles auf einmal, und dieser Wirbel aus Empfindungen verwirrte ihn zutiefst.
    Er öffnete die Augen, doch die rätselhafte

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