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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gezogen.
    Noch einmal versuchte sie, ihn abzuschütteln. Mit einem Mal lockerte sich der Griff um ihren Knöchel ein wenig, zog sie zwar immer noch weiter, gab dann aber dem Gewicht von Mirandolas Körper nach – und ließ los.
    Unvermittelt war Alessia frei. Mit einem verzweifelten Au f schrei schob sie sich nach hinten, wieder fort von dem Abgrund, und presste sie sich die Hände auf die Ohren, als der Inspekteur in die Tiefe stürzte. Sie hörte trotzdem, wie er die Wände des Schachts streifte, dann blendete sie die Wirklichkeit aus, zog sich vollkommen in sich selbst zurück, registrierte weder einen Aufschlag noch die Stimme des Schattendeuters, der jetzt mit erhobener Lampe über ihr stand und auf sie herabblickte.
    Mehrfach ging sein Mund im Schein der Öllampe auf und zu, bis sie begriff, dass er ihren Namen rief, dass er sie anbrüllte, und dann ging er neben ihr in die Hocke, holte mit der freien Hand aus und versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige.
    Der Schlag riss sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie ließ die Hände sinken, konnte wieder hören, und versuchte zugleich, rückwärts von ihm fortzukriechen.
    » Ach, Alessia … «, seufzte der Schattendeuter, trat an ihr vorbei und schleuderte hinter ihr die Eisenpforte des Pumpe n turms zu. Das metallische Krachen war ohrenbetäubend.
    Einen Herzschlag später realisierte sie, dass sie mit dem Schattendeuter im Inneren der Aetherpumpe eingeschlossen war.
    » Warum bist du hergekommen? «, fragte er, als er wieder vor sie trat. Die Lampe pendelte an seiner rechten Hand, das Flammenzucken verwandelte sein Gesicht in eine gelbe Grima s se.
    Sie rang um ihre Fassung, um eine Rückkehr ihrer Würde, um letzte Kraftreserven. » Was hast du jetzt vor? «, ächzte sie. » Willst du mich auch umbringen? «
    » Dich? « Er hob eine Augenbraue. » Warum sollte ich das tun? «
    » Du hast Sandro Mirandola ermordet! «, schrie sie ihn an. » Du hast ihn von der Treppe gestoßen! «
    Er schüttelte sachte den Kopf. » Du hast ja keine Ahnung. «
    » Ich habe es gesehen! « Aber hatte sie das wirklich? Sie hatte Mirandola lediglich fallen sehen, und nicht einmal das beso n ders deutlich.
    » Er hat mich angegriffen. « Carpi streckte ihr eine Hand entg e gen, um ihr aufzuhelfen.
    Sie hatte den Pumpeninspekteur nicht besonders gut gekannt, aber auf sie hatte er stets den Eindruck eines sanftmütigen, verschlossenen Menschen gemacht. Die Vorstellung, dass er sich dort oben auf den Schattendeuter gestürzt haben könnte, schien ihr absurd.
    Sie achtete nicht auf seine Hand, sondern versuchte aus eig e ner Kraft, auf die Beine zu kommen. Schwankend, aber einigermaßen sicher, kam sie zum Stehen. Carpi schwenkte die Lampe wieder höher, um ihr Gesicht zu beleuchten. Das Licht brannte in ihren Augen. Sie konnte nicht mehr erkennen, wo in der umliegenden Finsternis die Tür gewesen war.
    Ihr Gewissen drängte sie zum Rand des Schachts, u m n ach Mirandola zu sehen. Aber sie wusste zweierlei mit unumstößl i cher Sicherheit: Zum einen würde sie ihn dort unten nicht mehr sehen, dazu war es viel zu dunkel und der Schacht wahrschei n lich auch zu tief; und zum zweiten würde sie den Teufel tun und sich mit Carpi im Rücken dem Abgrund nähern.
    Sie hatte Angst vor ihm, höllische Angst, aber sie war nicht bereit, sich das anmerken zu lassen. Angespannt blieb sie vor ihm stehen, versuchte sogar, seinen stechenden Blick zu erwidern.
    Er schien sie anzulächeln, aber das mochte eine Täuschung von Licht und Schatten sein. » Sag mir jetzt bitte, warum du hier bist. «
    » Ich bin die Tochter des Herzogs! «
    Nun lachte er tatsächlich, wenn auch sehr leise. » Das ist mir durchaus bewusst, Alessia. Aber das erklärt nicht, warum du dich auf diesem Berg herumtreibst. «
    Sie sammelte sich, bekam aber keine Ordnung in das Durc h einander in ihrem Kopf. Dann sagte sie kurzerhand die Wahrheit. » Ich weiß Bescheid über die Konstruktionspläne. « Sie zögerte. » Für die Pumpen. «
    Einen Moment lang wirkte er tatsächlich überrascht. » So? «
    » Und ich habe meinem Vater davon erzählt. «
    » Hast du das? «
    » Natürlich. «
    Er seufzte leise. » Weißt du, Alessia, du musst verzeihen, abe r « – ein Kopfschütteln – » d as glaube ich dir nicht. Willst du wissen, was ich glaube? Dass du überhaupt keinem Menschen erzählt hast, dass du hierher gekommen bist. Dass du wieder einmal auf eigene Faust versuch t h ast, die Dinge zu regeln. Dass du einmal mehr die Heldin spielen

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