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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hatte verborgen, dass sie von Öffnungen durchlöchert waren, Fenstern in schwindelnder Höhe und Türen, die hinaus auf Kettenbrücken und Stege führten.
    Bald verlor er jegliches Gefühl für die Zeit. Er wusste nicht mehr, wie lange er bereits unterwegs war. Das saugende Geräusch, mit dem die Perlenschildkröten hinter ihm in der Lava verschwanden, ertönte nun in den immer gleichen Abstä n den; er bekam mehr und mehr Übung im Erklimmen der Panzer und dem Wechsel von einem zum anderen. Manchmal lösten sich Schuppen aus schwarzer Brandkruste unter seinen Füßen und Händen, aber jedes Mal bewahrten ihn seine Reflexe vor dem Abrutschen. Er verstand jetzt, warum es trotz eines Übe r weges keinerlei Austausch zwischen den Herrn der Lavatürme und den Menschen jenseits des Ufers gab. Auch wenn man wie Meister Li in der Lage war, die Schildkröten herbeizurufen, so war der Weg an sich eine Tortur, die selbst das beste Schwert nicht aufwiegen konnte.
    Endlich war das Ende absehbar. Noch drei Panzer, noch zwei, schließlich einer. Mit einem taumelnden Sprung setzte Niccolo von der letzten Schildkröte zum Aschestrand über. Hinter ihm verschwand der schwarze Buckel unter einer trägen Woge aus Glut.
    Während er auf alle viere niedersank und versuchte, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen, bemerk te er, dass das schwarze Zeug unter seinen Händen und Knien keineswegs gewöhnliche Asche war. Vielmehr ähnelte es pechschwarzem Sand, zusammengebacken von der Hitze. Bei genauerem Hinsehen handelte es sich um winzige Glaskristalle.
    Niccolo rappelte sich auf und sah an den Türmen empor. Sie umrankten über ihm den Himmel, finstere, vielfach verästelte Strukturen, die fast bis zur glutroten Wolkendecke reichten.
    Nirgends war ein Mensch zu sehen. Keine Spur von Leben.
    Er stieg den steilen Strand hinauf, bis er sich etwa zwanzig Meter über der Lavaoberfläche befand. Die Hitze ließ schlaga r tig nach, obgleich es noch immer ungeheuer warm war. Er konnte wieder freier atmen und hatte endlich nicht mehr das Gefühl, bei lebendigem Leibe gegart zu werden.
    Als er einen Blick zurück zum Ufer des Lavasees warf, konnte er die drei anderen nicht mehr sehen. Die flirrende Luft ließ die Felsenlandschaft verschwimmen, und ihm blieb nur zu hoffen, dass sie auf irgendeine Weise ahnten, dass er heil angekommen war.
    Erst jetzt bemerkte er, dass der erste Eindruck eines Dickichts aus Türmen nicht getrogen hatte. Oberhalb der Schräge aus Glaskristallen befand sich etwas, das dichtem Unterholz ähnelte. Nur dass es sich nicht um Äste und Bäume handelte, sondern um ein Gewirr aus schwarzen Lavadornen, manche nicht dicker als sein Finger, andere wie mächtige Säulen und ein paar so breit wie ganze Dörfer: Das waren die eigentlichen Türme. Das verzahnte Durcheinander aus Dornen und Strängen erlaubte e s n icht, dazwischen umherzulaufen. Das gesamte Leben der Götterschmiede musste sich innerhalb der Türme und hoch oben auf den Brücken und Stegen abspielen.
    Bald stieß er auf einen Eingang – kein Tor, sondern eine natürliche Öffnung, ein verzerrter Bogen, der wohl aus einer Schliere im flüssigen Gestein entstanden war. Vor Urzeiten, als die Lavatürme erstarrt waren wie eine Formation umgedrehter Eiszapfen, hatte der Zufall solche Löcher entstehen lassen. Erst weiter oben, das konnte Niccolo jetzt erkennen, gab es künstl i che Öffnungen, leere Rechtecke und Quadrate im Lavagestein, die noch schwärzer waren als die Oberfläche der Türme selbst. Lichtschein war in keinem davon zu sehen, nirgends regte sich Leben.
    Er betrat den Turm und war überrascht, wie viel kühler es hier drinnen war. Er befand sich in einer Halle mit unregelmäßigem, abgerundetem Umriss. Breite gehauene Treppenstufen führten nach oben und verschwanden dort im ewigen Lavaschein. Das rotgelbe Licht fiel nicht nur durch die verzogene Toröffnung und die wenigen Fenster, sondern sickerte durch eine Vielzahl natürlicher Spalten und Risse, wie glühende Spinnweben an den schwarzen Wänden.
    » Ist hier jemand? « Niccolos Stimme war so ruß- und rauchg e schwängert, dass er von seinem eigenen heiseren Tonfall erschrak.
    Niemand gab Antwort.
    » Hallo? Hört mich jemand? «
    Nichts.
    Mit einem hässlichen Rumoren im Magen machte er sich an den Aufstieg. Die Treppenstufen waren augenscheinlich für Menschen seiner Größe geschaffen. Das beruhigte ihn ein wenig. Zumindest würde er es nicht mit Riesen zu tun beko m men.
    Es roch nach

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