Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
ausgebrannten Feuern. Winde trugen kalten Aschegestank von oben herab. Irgendwo in den höheren Stockwerken mussten sich die Schmieden befinden. Aber weder waren Stimmen zu hören noch Hämmern oder das Fauchen der Öfen.
Er durchstreifte leere Hallen, in deren dicke Lavawände hö h lenartige Behausungen eingelassen waren. Die meisten Tische, Sitzgelegenheiten, sogar die Liegen waren aus dem ewig warmen Lavagestein gehauen.
Alle Höhlenhäuser standen seit langer Zeit leer, nichts deutete auf einen überstürzten Aufbruch hin. Abgesehen von den Scherben einiger Tongefäße fand Niccolo keine Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Hier hatte seit vielen Jahren kein Mensch mehr gehaust.
Bald war er sicher, dass er hier niemandem begegnen würde. Nachdenklich zog er die Möglichkeit in Betracht, dass nur dieser eine Turm ausgestorben war. Gründe dafür konnte es viele geben, und am nachhaltigsten erschreckte ihn die Mö g lichkeit, dass hier vielleicht eine Krankheit getobt hatte und all diese Hallen und Gänge und Treppenfluchten verseucht waren.
Doch eine nagende, eindringliche Stimme raunte ihm zu, dass er auch nirgends sonst an diesem düsteren Ort auf Leben stoßen würde.
Dennoch gab er nicht auf, stieg immer weiter nach oben und wechselte schließlich in Schwindel erregender Höhe von einem Turm zum anderen. Der Steg, über den er ging, war recht breit und gut befestigt. Niccolo kannte kein e H öhenangst, dafür hatte er viel zu oft am Rand der Wolkeninsel gestanden und vom Erdboden geträumt. Aber die gespenstische Leere des Turms in Verbindung mit den dornengespickten Abgründen machte ihm dennoch zu schaffen. Er war froh, als er durch einen künstlichen Torbogen den gegenüberliegenden Turm betrat.
Mittlerweile hatte er es aufgegeben, durch Rufe auf sich aufmerksam machen zu wollen. Stattdessen bewegte er sich noch vorsichtiger, drückte sich in den leeren Hallen an den Wänden entlang und versuchte keine Fußabdrücke im A schestaub zu hinterlassen. Der Gedanke, hier eine Spur der Drachen oder auch nur einen Hinweis auf ihren Friedhof zu finden, schien ihm immer aussichtsloser. Was hatte Mondkind sich dabei gedacht, als sie ihn hierher geschickt hatte? Wah r scheinlich hatte er kostbare Tage verschenkt. Tage, die für das Volk der Hohen Lüfte den Untergang bedeuten mochten.
Er tat sein Möglichstes, solche Vorstellungen zu verdrängen. Aber die Leere der unheimlichen Hallen, die verlassenen Behausungen und der Gestank erkalteter Schmieden und Brennöfen vereitelte alle Versuche, an etwas anderes als Tod und Verderben zu denken.
Noch mehrmals wechselte er zwischen den Türmen und näherte sich dabei immer weiter dem Herzen der menschenle e ren Stadt. Von den Balustraden und Kettenbrücken aus sah er jetzt in allen Richtungen nur noch schwarze Lavasäulen, hier und da von fernem Glutschein umrahmt. Es gab weder Vögel noch Insekten, nur Ascheflocken, die dann und wann auf heißen Windböen trieben.
Die Schmiedehallen befanden sich in den oberen Stockwerken der Türme, womöglich, um weiter unten nicht noch mehr Hitze zu erzeugen, die das Leben für die Bewohner unerträglich gemacht hätte. Zwischen den verlassenen Essen und Ambossen fand Niccolo altes Werkzeug, Reste von Leder und ein paar andere Überbleibsel der Schmiedearbeit, aber alles war u n brauchbar und vermutlich nur aus diesem Grund zurückgelassen worden.
Als er eine Brücke überquerte, die zu einem der Türme im Zentrum der Lavainsel führte, blieb er wie angewurzelt stehen.
Mitten auf dem Überweg lag ein Stiefel.
Vorsichtig, als könnte das Ding unverhofft nach ihm schna p pen, ging Niccolo darauf zu. Noch einmal schaute er sich nach allen Seiten um, dann stieß er mit dem Fuß dagegen, bückte sich sogar und blickte hinein.
Nichts Auffälliges, einfach nur ein alter Stiefel.
Und doch war er nicht so alt wie die Gegenstände, die er in den anderen Türmen entdeckt hatte. Und keineswegs so abg e nutzt, dass man ihn hätte fortwerfen müssen.
Niccolo zog seinen Dolch und pirschte auf das verzogene Tor in der Turmwand zu. Dahinter lag eine weitere Halle, groß wie ein Marktplatz, eingefasst von den höhlenartigen Behausungen in den Seitenwänden.
Eine Hand voll Kleidungsstücke lag verstreut über die weite Fläche. Etwas flog auf Niccolo zu. Ein Papierfetzen, den ein Luftwirbel erfasst hatte und ins Freie trieb.
Er schlich an den Fensteröffnungen der Behausungen entlang, gehauene Löcher, die nach innen in die Halle wiesen.
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