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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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eindrucksvoller Statur wie sein Bruder Li, ohne aber dessen Leibesfülle zu erreichen. Im Gegensatz zu Li mit seinem mächtigen Bauch schien Guo Lao nur aus Muskeln zu bestehen. Seine bunten Gewänder waren mit auffälligen Goldfäden durchwebt, die wohl selbst am Hofe des Kaisers pompös und prunkvoll gewirkt hätten. Vielfarbige Bänder flatterten an seinen Schultern wie ein in Streifen geschnittener Umhang; weitere Bänder waren um seine Arme und Beine gebunden und mit Schriftzeichen versehen, die Niccolo nicht entziffern konnte. Ein diffuses, an- und abschwe l lendes Glühen ging von ihnen aus.
    Guo Laos riesiger Schädel war haarlos, selbst die Brauen hatte er abrasiert. Das ließ seine Augen kleiner erscheinen, tief eingesunken im Schatten einer vorspringenden Stirn.
    Schon damals im Wald war der Xian einschüchternd gewesen; heute aber kam er Niccolo vor wie eine Fleisch gewordene Naturgewalt. Mochten ihn mit Li zumindest die schiere Größe und der Kahlkopf verbinden, so gab es nicht die geringste Ähnlichkeit zum sanftmütigen Tieguai . Guo Lao war ein Krieger, vielleicht der gewaltigste, der jemals gelebt hatte.
    Und ich bin Schuld an seiner Niederlage im Duell mit Mon d kind, dachte Niccolo benommen. Er weiß es. Und er hasst mich dafür.
    » Ich konnte dich in ihr fühlen «, sagte Guo Lao. Er stand vor Niccolo und schien ihn beinahe um das Doppelte zu überragen.
    » In … ihr? « Vielleicht war es albern, sich unwissend zu ste l len, aber es geschah planlos, nur ein Reflex.
    » Sie verströmt dein Chi wie eine Bienenkönigin den Duft von Honig. «
    » Dann bist du ihr begegnet? « Niccolo verzichtete auf das ehrerbietige » Ihr «, das er anfangs bei Li und Tieguai benutzt hatte. Die Art von Respekt, die Guo Lao ihm einflößte, war ganz anders als jene, die seine beiden Xian-Brüder ausgestrahlt hatten. Schon im nächsten Moment erkannte er, dass es kein Respekt war, sondern blanke Furcht.
    » Natürlich. « Guo Lao lächelte, und vielleicht lag es an den fehlenden Augenbrauen, dass er dabei noch bedrohlicher und düsterer wirkte.
    » Hast du mit ihr gekämpft? « Die Frage klang hölzern, auch in seinen eigenen Ohren. Nach allen Regeln der Vernunft hätte es ihn erleichtern müssen, Guo Lao wohlbehalten vor sich zu sehen. Dieser Mann, dieser Gigant war das letzte Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Wen n e r starb, würde der Aether siegen. Es war ein gutes Zeichen, dass er noch lebte.
    Aber warum verspürte Niccolo dann nichts als Angst?
    » Sie ist gekommen, um mich zu töten «, sagte Guo Lao . Er führte die Hand zum Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Über die Düne stakste ein großer Kranich mit prächtigem Gefieder, gefolgt von dem kleineren, zerzausten Vogel, auf dem Niccolo geritten war. » Es ist ihr nicht gelungen «, setzte der Xian fast beiläufig hinzu. Doch als Niccolo in seine Augen sah, fand er dort einen verzehrenden, hasserfüllten Triumph, der ihm einen eisigen Schauder über den Rücken jagte.
    Guo Lao winkte Niccolos Kranich heran. Das Tier gehorchte in einer unterwürfigen Haltung, die Niccolo zornig machte. Der Vogel hätte sein Leben für ihn gegeben, aber der Xian behande l te ihn wie einen Kettenhund.
    » Wo ist sie? «, fragte Niccolo.
    Der Xian lachte leise. » Bist du sicher, dass du sie sehen willst, Junge? «
    Widerstand regte sich in Niccolo, eine Rebellion gegen die Selbstgefälligkeit des Unsterblichen, gegen diesen genüsslichen Tonfall, in dem eine Grausamkeit mitschwang, die dem weisen Tieguai und sogar Li, dem einstigen General, fremd gewesen wäre.
    » Natürlich will ich sie sehen! Und das weißt du! «
    » Was ich weiß « , entgegnete Guo Lao scharf, » ist, dass ich dir gerade dein wertloses kleines Leben gerettet habe ! Und dass ein wenig mehr Achtung angebracht wäre, selbst hier, an diesem Ort! «
    » Bring mich zu ihr «, verlangte Niccolo, noch bevor die Worte des Xian zu ihm durchdrangen. Erst dann fügte er leiser hinzu: » Bitte. «
    Guo Lao nickte. » Keine Sorge, sie wird uns nicht weglaufen. «
    » Was hast du ihr angetan? «
    Über dem Auge des Xian ruckte eine fleischige Falte nach oben. » Mondkind ist meine Gefangen e «, sagte er schlie ß lich. » Und sie liegt im Sterben. «
    * * *
    Die Felsen erschienen wie aus dem Nichts. Im einen Auge n blick war der Horizont leer, im nächsten schälten sich Steinbuckel aus der Schwärze zwischen den Sternen.
    Die beiden Kraniche und ihre Reiter jagten durch die Nacht darauf zu, niedrig über

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