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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Als Mondkind davon gesprochen hatte, war ein verträumter Glanz in ihre Augen getreten: » Es scheint hinab in deinen Verstand, erleuchtet deine Gedanken, alles, was du bist und denkst und fühlst. Nichts ist danach wie zuvor. «
    Nichts ist danach wie zuvor.
    Gerade eben noch war ihm alles ausweglos erschienen, die Welt aschgrau und zum Untergang verurteilt, er selbst ein Verräter und hilflos in seiner Besessenheit von einer Liebe, die an Irrsinn grenzte.
    Aber dieses Licht …
    Es erleuchtet deine Gedanken.
    Vielleicht würde er sie dann verstehen, würde endlich begre i fen, was in ihr vorging. Und was er tun konnte, um ihr zu helfen.
    War das der Schlüssel zu ihrem Geheimnis? Und wenn nicht – käme er ihr damit nicht zumindest näher als auf irgendeinem anderen Weg, der er einschlagen konnte?
    Mit den Fersen gab er dem Kranich das Signal zur Umkehr. Der Vogel krächzte widerwillig, behielt seinen Kurs aber bei.
    » Bitte «, sagte Niccolo. » Bring mich zurück … Ich werde allein gehen … Nur ich allein. «
    Der Vogel bockte, als Niccolo an den Zügeln riss.
    » Kehr um! «, befahl er jetzt schärfer, und diesmal, endlich, gehorchte das Tier. Im Gleitflug schlug es einen weiten Bogen, bis das Lichtgitter im Osten vor ihnen lag. Bald wehten ihnen wieder Sandschwaden entgegen.
    Sie brauchten nicht lange, ehe sie die ersten Säulen erreichten. Niccolo ließ den Vogel in den Ausläufern des Sandsturms auf einer Dünenkuppe landen. Der Kranich legte die Schwingen an und schob schutzsuchend den Kopf unter die Federn. Unruhig und mit protestierendem Gurren ließ er zu, dass Niccolo von seinem Rücken glitt.
    » Warte hier auf mich. «
    Mit langsamen Schritten ging er auf eine der breiteren Lich t säulen zu. In schrägem Winkel wies sie von ihm fort Richtung Mond, an ihrem Fuß drei oder vier Meter breit . Der Sand darin bewegte sich schneller, so als wollte er empört gegen Niccolos Entscheidung protestieren. Es war ein Anblick von hypnotischer Schönheit.
    Eine Mannslänge vor dem Licht blieb Niccolo stehen . Der Sandsturm wollte ihn aufhalten, fuhr unter seine Jacke, drang in seine Ohren und Nasenlöcher. Er war nicht sicher, ob er das Richtige tat. Zu vieles war bloße Vermutung, ein Zurechtlegen von Ahnungen, die vielleicht nur in seiner Phantasie einen Sinn ergaben.
    Und nicht einmal das. Er war drauf und dran, dem Feind, dem er gerade erst entkommen war, freiwillig in die Arme zu laufen. Er sagte sich, dass er es tat, um mehr zu erfahren, um neue Wege zu finden im Kampf gegen den Aether.
    In Wahrheit tat er es nur für Mondkind.
    Gegen den Sturm gebeugt trat er ins reine weiße Licht des Mondes.
     
    DAS HERZ DER WüSTE
     
    E r hatte geglaubt, es würde wehtun. Trotz all der Dinge, die Mondkind gesagt hatte. Der Aether sandte dieses Licht, und der Aether war der Feind der Menschheit. Das bedeutete Schmerz. Es bedeutete Hass und Zorn und den Wunsch, mit dem Licht Schaden zuzufügen. Vielleicht zu töten.
    Aber es tat nicht weh.
    Niccolo trat in den Strahl aus reinem, ungefiltertem Mondlicht, und was er spürte war – nichts. Nicht die geringste Veränd e rung. Um ihn tanzten die Sandschwaden, aufgeregt wie ein Wespenschwarm, dessen Nest von einem Eindringling bedroht wurde. Er wandte den Blick nach oben, sah direkt zum Mond hinauf, der irgendwo am Ende dieses Tunnels aus gleißender Helligkeit und wirbelndem Sand sein musste. Seine Augen zuckten, weil Sandkörner darüber hinwegrieben, aber er widerstand dem Drang, die Lider zu schließen.
    Irgendetwas würde mit ihm geschehen. Er war ganz sicher. Er stand da und wartete. Er wurde ungeduldig.
    Dann spürte er es.
    Es war keine Woge, die ihn erfasste. Kein Schlag, der ihn zu Boden schleudern wollte. Stattdessen begann es als langsames Ziehen, nicht einmal unangenehm, so als grif fen haarfeine Fühler nach jedem einzelnen Partikel seines Körpers und zogen sie unendlich sachte nach unten. Niccolo ging in die Knie, nicht aus Schwäche, sondern weil ihn plötzlich eine Ehrfurcht erfüllte, die über schlichte Angst vor dem Erhabenen hinausging. Das Ziehen verging, und nun fühlte er sich emporgehoben, so als verlöre sein Körper jeden Kontakt zum Boden, obwohl er doch nach wie vor im Sand kniete.
    Ein Teil von ihm schien dem Licht entgegenzuschweben . Etwas in ihm wollte willkommen heißen, was jetzt über ihn kam, und so eilte es darauf zu, vereinigte sich damit und kehrte erst dann in Niccolos Körper zurück.
    Mit einem Mal wusste er es. Wusste genau, was

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