Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Flüsterstimme des Götterschwertes seltsam unschlüssig und ihr Zaudern und Wanken übertrug sich auf ihn selbst. Trotzdem wagte er nicht, die Klinge abzulegen, erst recht nicht, seit er die Felsenwesen gesehen hatte.
Als Yaozi Nugua vor Mondkinds Grotte abgeholt hatte, war Niccolo den beiden gefolgt. Tagelang an Mondkinds Lager zu sitzen machte alles nur noch schlimmer. Er konnte nichts für sie tun, konnte nur im Schlaf ihre schmale weiße Hand halten, während er ihr Erwachen herbeisehnte und gleichzeitig fürchtete. Würde sie ihn wirklich nicht mehr lieben, wenn sie zu sich kam? Durch all seine Zweifel und Schuldgefühle fühlte er sich schlecht genug, aber die Geheimniskrämerei der Drachen machte es nur noch schlimmer. Darum war er Yaozi und Nugua nachgeschlichen, in großem Abstand, was nicht allzu schwierig war, wenn derjenige, den man verfolgte, in der Dunkelheit wie ein Scheiterhaufen glühte.
Beinahe hätten ihn die Felsenwesen erwischt - Juru, hatte der Drachenkönig sie genannt - und Niccolo erinnerte sich vage daran, dass er sie zum ersten Mal im Tal unterhalb der Wolkeninsel gesehen hatte. Damals, als er sich auf dem Luftschlitten in die Tiefe gestürzt hatte. Ein halbes Leben schien das her zu sein. Er hatte geglaubt, er könnte das Wolkenvolk retten, indem er den Atem eines Drachen einfing. Wie naiv das gewesen war.
Heute, viele Wochen später, war er von Dutzenden, vielleicht Hunderten Drachen umgeben - und er war hilflos. Der Aether, den das Wolkenvolk so dringend benötigte, um die Insel zu stabilisieren, füllte jeden Winkel dieser Grotten aus. Und doch gab es keine Möglichkeit, ihn ein-zufangen und zu transportieren. Insgeheim war er überzeugt, dass sich die Insel längst aufgelöst hatte; bestenfalls war sie zum Boden abgesunken, wo das Volk der Hohen Lüfte von Baumgeistern und Felsenwesen erwartet wurde. Aber er konnte diese Gedanken nicht zu Ende führen, etwas in ihm verhinderte, dass er sich die letzte Konsequenz deutlich ausmalte.
Plötzlich erschien ihm die Vorstellung, sich genau wie Mondkind in einen Heilschlaf versetzen zu lassen, ungeheuer verlockend. Einfach einschlafen und abwarten, was geschah. Entweder er würde in einer Welt aufwachen, die vom Aether befreit war - oder aber er würde nichts vom Ende aller Dinge bemerken.
Aber nein, er konnte jetzt nicht aufgeben, nicht sich selbst, nicht Mondkind, nicht die ganze Welt.
Und mit dem vagen Gefühl, dass da doch noch Stolz und Selbstvertrauen in ihm waren, wandte er sich von dem hell erleuchteten Durchgang ab und folgte dem Lichtschweif des Drachenkönigs in die Finsternis.
Hinter ihm, im Grottendom, nahm das magische Ringen zwischen Drachen und Aether seinen Fortgang, nahezu lautlos und trügerisch friedlich.
Wären da nicht all die toten Drachen gewesen.
Und der dichte Goldglanz in der Luft, der sich immer enger um das Diamantherz des Riesen zusammenzog.
Alte Feinde
Nichts hatte Nugua auf den Anblick vorbereiten können, der sie vorm Portal der Dongtian erwartete.
Riesige Schiffe schwebten über dem Talkessel. Sie selbst bewegten sich nicht, nur zahllose Flaggen und Segel flatterten im eisigen Gebirgswind. Taue und Ankerseile führten von den fischförmigen Rümpfen hinüber zu zerklüfteten Feispitzen. Kleinere Luftschlitten mit schlagenden Flügeln schwirrten wie Stechfliegen zwischen den schwerelosen Giganten, formierten sich zu immer neuen Mustern am diesigen Morgenhimmel.
Die aufgehende Sonne tauchte die Papierwabenbälge der Schiffe in milchiges Rot, während die Tiefen des Felsentals noch im Schatten lagen. Die gewundene Treppe, die vom Portal der Dongtian abwärts zum Talgrund führte, verschwand nach fünfzig oder sechzig Stufen in grauer Granitfinsternis. Nieselregen brachte die Oberfläche der Felsen zum Glänzen.
Nugua zählte vier Luftschiffe. Möglich, dass es jenseits der Berge noch weitere gab. Drachenkundschafter schlängelten sich über den Himmel wie Papierschlangen, federleicht auf verschlungenen Bahnen.
Yaozi und zwei weitere Drachenkönige hatten sich auf der regennassen Plattform vor dem Tor aufgebaut. Ihre
Besorgnis über die neue Wendung strahlte von ihnen aus wie Hitzeschübe; ihre Goldglut wechselte von düsterem Glühen zu blendender Helligkeit.
Yaozi hatte Nugua auf dem Weg hierher von den Geheimen Händlern erzählt, die den Befehl über die gewaltigen Luftschiffe führten. Auch Niccolo hatte sie vor Wochen einmal erwähnt. Doch erst jetzt hatte Nugua erfahren, dass ein uralter
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