Das Wolkenzimmer
hineinzieht. Eine braunfleckige Kanne steht in einer Kaffeepfütze auf dem Tisch, ein halber Laib Brot liegt daneben. Jaschas Augen fangen zu brennen an, sein Magen ist leer wie noch nie. Er schaut in den offenen Marmeladentopf hinein. Es ist keine Marmelade darin, sondern Schmalz.
19
Veronika hat knapp zweihundert Tickets verkauft. Dazu die Broschüren und einige Postkarten.
»Das ist viel bei solchem Wetter«, sagt der Amerikaner und legt die Tageszeitung, die er unterm Arm trug, auf den Stapel seiner alten Zeitungen. »Wann hat es eigentlich zu regnen aufgehört?«
»Gegen vier.« Veronika erstarrt mitten in der Bewegung, mit der sie sich gerade durch die Haare fährt. »Warum wissen Sie das nicht?« Sie kann die nächste, logische Frage nicht unterdrücken: »Wo waren Sie eigentlich?«
Der Amerikaner ist in die Stube gegangen und beschäftigt sich mit der Post. Er hat sie mit heraufgebracht, mehrere Briefe und dazu die Washington Times. Er wendet die Briefe und schaut sie genauer an, er hat Veronika, die ihm nachgelaufen ist, vielleicht tatsächlich nicht gehört. Wahrscheinlicher ist aber, dass er nicht antworten will.
»Das Telefon hat mehrmals geläutet, aber ich bin nicht rangegangen. Was hätte ich denn sagen sollen? Die Amtsnummer erschien übrigens nicht im Display.«
Endlich sieht der Amerikaner auf. »Das hast du gut gemacht.«
Er legt jetzt die Post auf sein Bett, Zeichen für privat, Finger weg, und geht noch einmal hinaus. Die Glöckchentür bimmelt und sie hört seine Schritte auf der Treppe. Aber er geht nur eine Stiege hinunter. Als er zurückkommt, hat er einen riesigen Blumenstrauß dabei, den er Veronika in den Arm drückt. »Du magst doch Blumen?«
Überrumpelt nimmt sie das Gebinde an und zieht ein paar Sekunden später ein Briefkuvert heraus.
»Mr James Mayne«, liest sie. Sie sieht auf. »Das ist für Sie, nicht für mich«, sagt sie steif und gibt ihm den Strauß zurück. Vielmehr, sie will ihn zurückgeben.
Aber der Amerikaner lacht und nimmt nur das Kuvert. Er drückt für einen Moment um die Blumen herum Veronikas Schultern. »Der Strauß ist für dich, okay?« Dann geht er in die Küche und ruft von dort: »Willst du den historischen Nachttopf oder lieber einen Eimer?«
»Nichts will ich«, sagt Veronika. »Solange ich nicht weiß, was das soll.«
Er kramt im Schrank und kommt mit einem alten Einmachglas zurück, das mit Steinchen gefüllt ist. Unansehnliche graue Gesteinskrümel, die er vorsichtig in einen Stoffbeutel umfüllt. »So, nun hast du eine richtige Vase.«
»Ich habe gesagt, solange...«, beginnt Veronika.
»Es ist mein Geburtstag. Ich konnte den Bürgermeister mittags abfangen, ich weiß, wann er solche Gänge erledigt. Bist du nun zufrieden?« Er füllt in der Küche Wasser ins Glas, extra laut, wie ihr scheint, damit er ihren Glückwunsch nicht hören muss. Dann bringt er das Einmachglas zum Tisch.
Veronika rammt ohne ein Wort die Blumen hinein.
»Nun gut«, seufzt der Amerikaner. Er schiebt sich auf die Bank. »Sieben Geburtstage hintereinander ist es mir geglückt, so etwas abzuwenden und in meinem Turm in Ruhe gelassen zu werden.« Er sieht Veronika an, bis sie beginnt, an den Blumen herumzuzupfen.
»Soll ich gehen, Mr... James?«, fragt sie endlich leise.
»Nein. Stell das Gemüse in eine Ecke. Im Kühlschrank ist eine Flasche Sekt. Wenn du willst.«
Veronika bringt den Blumenstrauß zur Nische unter dem Nordwestfenster. Über ihrem Reisesack hängt ihr Handtuch, sie schnüffelt daran und dreht sich um. »Kann man sich hier mal irgendwo richtig waschen? Ich stinke. Wenn ich Geburtstag feiern soll, will ich gut riechen.«
Eine Stunde später sitzt sie wieder am Tisch. Sie hat sich in einer gelben Plastikwanne gewaschen, zuerst die Haare, dann den Rest, schön nacheinander, draußen in der Ecke hinter dem alten Schrank, in dem der Amerikaner alles Mögliche aufbewahrt, auch die gelbe Wanne. Das Wasser hat er ihr in mehreren Gängen in einem Eimer aus der Küche gebracht, dort gibt es einen Boiler über der Spüle. Die Wanne mit dem gebrauchten Wasser haben sie dann zu zweit in die Küche geschleppt und haben das Wasser langsam in den Ausguss fließen lassen. Ein mühsames Geschäft, wo doch das Fenster so nah gewesen wäre.
Veronika hat hinausgedeutet und gemeint, das Kirchendach hätte heute schon so viel Nässe abbekommen, dass es auf das bisschen Waschwasser auch nicht mehr ankäme. Aber der Amerikaner hat abgelehnt. Man solle so
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