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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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ausgepumpt und leer zurückgelassen hat.
    Sie faltet mechanisch die Decken, um sie in die Stube zu bringen und unter dem Nordwestfenster am Fußboden zu stapeln, neben dem Reisesack und ein paar verstreuten Utensilien. Sie könnte jetzt packen und per Anhalter nach Hause fahren, sie könnte sich dann verleugnen lassen, wenn Mattis vorbeischauen würde, um sich zu verabschieden - was für eine Dreistigkeit von ihm, nach dem Streit und mehr als zwei getrennten Urlaubswochen bei ihr zu Hause aufzukreuzen und zu tun, als wäre nichts gewesen!
    Auf einmal überkommt sie ein blindwütiger Zorn. Sie  presst die Augen zu, knirscht mit den Zähnen und drischt mit beiden Fäusten auf den Deckenberg ein. Sie hört sich stöhnen, aber nicht einmal dieses Geräusch dringt wirklich durch. Dass sie aus der Hocke auf den Hintern plumpst, beendet den Anfall. Sie vergräbt den Kopf im Bettzeug.
    »Möchtest du mit mir frühstücken?«, sagt der Amerikaner drüben am Tisch.
    Sie bewegt sich nicht.
    Als er selbst mit seinem Frühstück fertig ist, verlässt er die Stube.
    Der Schlüsselbund klirrt, danach bimmelt die Glöckchentür und sie hört seine Schritte sich nach unten entfernen.
    Veronika steht vom Boden auf und blickt auf ihre Sachen nieder. Mit lahmem Fuß schiebt sie alles in eine Ecke. Dann dreht sie sich um und geht zum Tisch. Da steht die Teekanne und ist bauchig und heiß wie am Tag zuvor, das Brot ist noch dasselbe, es ist nur kürzer geworden, an den Messerzähnen hängen ein paar Krümel, im Marmeladenglas steckt ein Löffel, der Honig ist noch zugeschraubt. Veronika nimmt das Bild in sich auf, es möchte gern ankommen, es will ihr wehtun. Bevor das passieren kann, kehrt sie dem Tisch den Rücken. Sie geht hinaus und lässt den Beinen freien Lauf, sie wollen die Treppe hinab, vielmehr, sie wollen gar nichts, sie fallen einfach in Schritt, eine Stufe nach der anderen, hinunter braucht es keinen Willen.
    Es kommt ihr niemand entgegen, es ist noch nicht neun. Im Treppenturm hat sie dann den Amerikaner vor sich. Er geht in seinem gleichmäßigen Schritt hinab und sie passt sich ungeduldig an.
    Als er die Tür aufgeschlossen hat, will sie schnell an ihm vorbei.
    Er hält die Klinke fest und sagt: »Eigentlich sollte ich ein paar Sachen einkaufen … Nun, da du dein Gepäck nicht mitgenommen hast, kommst du ja vermutlich wieder. Bringst du  bitte etwas mit? Obst, Brot … Du weißt ja, was nötig ist. Hier ist Geld.« Er lässt die Tür endlich los und zieht einen Schein aus seiner Börse.
    Veronika runzelt die Stirn. »Ich weiß aber nicht, ob ich gleich zurückkomme.« Sie weiß nicht einmal, warum sie hier steht, und nicht, wohin ihre Beine laufen werden.
    »Das spielt keine Rolle.« Er gibt ihr den Schein und stellt die Tafel hinaus. Dann geht er in den Turm zurück.
    Veronika sinkt erschöpft auf die Stufen. Sie legt den Kopf auf die Knie und die verschränkten Hände auf die Füße. So sitzt sie, bis das Geschnatter einer Reisegruppe sie verscheucht.
     

48
    Noch immer ist Krieg. Die wehrfähigen Männer sind eingezogen, die Frauen müssen sich schon lange allein behelfen, erzählt der Einarmige, es sei denn, sie bekommen französische oder polnische Kriegsgefangene zugewiesen oder Erntehelfer vom Reichsarbeitsdienst. Aber das sei nicht dasselbe. Die Bauern und ihre Söhne seien schwer zu ersetzen, und wie sollten die wenigen Bäuerinnen all die vielen Großstädter ernähren, das frage er sich. Die Städter jammerten bereits jetzt, dass alles knapp würde.
    »Die Lebensmittelkarte«, sagt er, »ist schon zum wichtigsten Dokument geworden. Neben dem Ahnenpass.«
    Der Einarmige muss reden, damit er auf dem neuen Strohsack nicht gleich einschläft. Er darf keinen Wächterruf auslassen, sonst heißt es, der Türmer sei unzuverlässig, und dann schickt man ihm eine Nachtwache auf den Turm.
    Der neue Strohsack ist dick, er knistert und duftet. Jascha wäre gern dabei gewesen, als der Einarmige und der Offiziant den alten Strohsack mit der Spindel hinunterließen. Sie haben das zerbröselte Stroh durch den Schlitz in der Mitte herausgeholt und frisches Erntestroh eingefüllt. Der Offiziant hat die Bänder über dem Schlitz verknotet und dann haben sie den Strohsack wieder hinaufgezogen.
    Man hätte den Offizianten gar nicht gebraucht, und Jascha hat sowieso die Bänder wieder aufgemacht und schöner geknüpft - aber keiner hätte dem Einarmigen geglaubt, dass er einen Strohsack allein stopfen und zubinden kann.
    Wenn

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