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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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die Pimpfe aus und drehen jedes Stäubchen um. Garantiert entdecken die irgendwas von dir und wenn es deine Fußspuren auf den Balken sind! Beeile dich! Und pass um Himmels willen auf, dass du nirgendwo runterfällst!«
    Der Einarmige hat im Treppenturm gewartet, die Trillerpfeife, die einmal seinem Ältesten gehört hat, griffbereit in der Faust, für den Notfall. Der Notfall tritt ein, wenn jemand anderer den Turm aufsperrt als er. Der Einarmige wird einen Pfiff ausstoßen und Jascha - egal wo er ist - muss augenblicklich seine Flucht ins Dach antreten.
    Das mit dem Pfiff hat sich der Einarmige schon vor längerer Zeit ausgedacht, denn er kann ja nicht immer auf Jascha aufpassen. Und es könnte durchaus einmal sein, dass Jascha irgendwo herumklettert und dabei nicht hört, dass ein Fremder den Turm aufschließt - es darf nicht passieren, aber es kann. So ein Pfiff im Turm wäre in dem Moment überaus verdächtig. Der Einarmige hat sich deswegen eine Erklärung zurechtgelegt. Die Trillerpfeife an der rotweißen Kordel, wird er sagen, sei ein Andenken an seinen Ältesten, der fürs  Vaterland gefallen sei. Sein Ältester sei als Bub Jungzugführer gewesen und sei so stolz auf seine Kommandopfeife gewesen. Ein Vater dürfe wohl ein Andenken an seinen Buben haben, und wenn einmal versehentlich ein Pfiff herauskommt, dann kommt halt ein Pfiff heraus.
    Es ist nicht nötig gewesen, den Pfiff auszustoßen. Denn Jascha hat die verlorene Karte gefunden, bevor jemand kam. Sie hat an einer Stelle gelegen, die kein Pimpf hätte erreichen können. Aber das hat der Einarmige dem Fähnleinführer nicht auf die Nase gebunden. Die Maiden seien wohl zu aufgeregt gewesen, hat er gebrummt, sonst hätten sie die Karte eigentlich sehen müssen, er habe sie ja auch gesehen. Und er hat dem Fähnleinführer das kostbare Fundstück mitgegeben, damit er es abliefern konnte.
    »Die Pimpfe«, hat er zu Jascha gesagt, »sind ganz gern wieder abgezogen, die waren erhitzt von der Geländeübung. Buben, wie du einer bist. Ich weiß nicht, was an dir anders sein soll«, hat er geknurrt, »und warum ich dich verstecken muss, Kruzitürken noch mal.«
    »Das Andenken...«, hat Jascha vorsichtig begonnen.
    »Ja?«, hat der Einarmige gebellt.
    »Nichts«, hat Jascha gemurmelt. »Ich wollte nur mal fragen, ob das stimmt. Ob das wirklich ein Andenken ist …«
    »Was soll es denn sonst sein. Meine Frau hat alles in einer Schachtel aufgehoben, die Trillerpfeife war auch drin.« Der Einarmige hat sich umgedreht und das Sacktuch herausgezogen und sich geschnäuzt.
    Daran muss Jascha denken, als sie jetzt auf dem Strohsack liegen, er an der warmen Schulter des Mannes, an der kein Arm, sondern ein Stumpf ist. Er fühlt seinen Hals eng werden wie sonst nur, wenn er an Hermann denkt. Der neue Strohsack hat einen Nachteil, es gibt noch keine Kuhle. Beim alten hätte Jascha gar nichts dagegen machen können, er wäre ganz von selbst an den Mann hingerutscht.
    Als der Einarmige aufsteht und auf den Kranz geht, wartet Jascha, bis er oben ist, dann wühlt er vorsichtig eine Kuhle ins Stroh.
    Aber es wird nichts aus der Gemütlichkeit, denn jetzt geht der Heulton los, es ist wieder Alarm.
     

49
    Mit den letzten Besuchern ist auch der Amerikaner heruntergekommen. Veronika sitzt auf einer Bank am Marktplatz und sieht ihn noch ein paar Worte wechseln. Sie bemerkt, dass ihm die Leute, mit denen er redet, gleichgültig sind, und das gibt ihr den zweiten kleinen Stich von Freude. Den ersten hat sie gespürt, als sie ihn herauskommen sah. Es war praktisch die erste Regung überhaupt nach einem merkwürdig empfindungslosen Tag.
    Sie spürt dem unerwarteten Gefühl nach, und es ist weiter gar nichts, als dass ihr der Amerikaner inzwischen vertraut ist, bei aller Fremdheit, die geblieben ist und die von dem Geheimnis herrühren muss, das ihn umgibt. Er ist ihr vertraut und sie vertraut ihm und das ist im Moment eine fast beängstigend starke Empfindung.
    Sie sieht, wie er unentschlossen dasteht, wie er den Blick über den Platz schweifen lässt, mit Ferneinstellung, und wie er dann gemächlicher als sonst auf die Anzeigentafel zugeht, als wollte er die kleine Tätigkeit gern strecken, damit sie ihn recht lange beschäftigt. Denn wenn er die Tafel erst einmal im Turm hat, kann er eigentlich nur noch zuschließen.
    Neben ihr auf der Bank sitzen zwei Radfahrer, die schwer bepackten Räder vor sich. Die beiden wollen noch weiter und bedauern es, dass sie für den Turm zu spät

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