Das Wort des Hastur - 12
Kälte, während Briana nur übermütig lachte und sich den eisigen Wind um die Nase wehen ließ. Barfuß tänzelte sie über den Hof, und ihre langen, schlanken Zehen hinterließen kaum eine Spur im Schnee.
Nathan verdrehte verwundert seine Kulleraugen und stürmte der warmen Küche entgegen. Ihre Buttermilch schmeckte schon toll, aber sonst hatten die anderen recht: Briana war wirklich seltsam!
In einiger Entfernung saß hoch oben in den Wipfeln ein bleiches Chieri friedlich auf einem sanften Moospolster und richtete seinen silbergrauen weitschauendenBlick auf die erste Tochter, die es in mehr als hundert Jahren gezeugt hatte. Für das Chieri würde es eine solche Vereinigung von Körper und Geist nie wieder geben, und bei diesem Gedanken ließ eine heftige Gemütsregung seine zerbrechliche Gestalt erzittern. Andererseits war es ermutigend zu beobachten, wie vielversprechend sich die Kinder entwickelten, die bei den seltenen Begegnungen zwischen seiner langlebigen Art und den lebenstüchtigen neuen Siedlern entstanden. Eine uralte Verwandtschaft ermöglichte es der telepathischen Rasse der Chieri, zu überleben und einer neuen Generation ihre besonderen Fähigkeiten und verborgenen Kräfte einzuflößen.
Fast alle gemischtrassigen Kinder wurden in den Menschensiedlungen großgezogen, da sie schon im Hochsommer die Kälte eines Chieri -Lebensnicht aushalten konnten, ganz zu schweigen von den Wintern. Dabei war es unwichtig, ob sie väterlicher- oder mütterlicherseits von einem Chieri abstammten. Den anderen Elternteil lernten die meisten dieser Kinder nie keimen.
Briana aber war einzigartig. Es war unvermeidlich, daß das Chieri sie eines Tages für sich beanspruchen würde. Wenn alle vier Monde wieder am Himmel stehen, wird auch die erste Kireseth-Blume erblühen, dachte das Chieri. Danach werde ich sie zu mir holen, damit sie die andere Hälfte ihres Erbes antreten kann.
LINDA ANFUSO
Das Auge des Betrachters
Linda sagt von sich, daß sie seit ihren Teenagertagen Darkover-Geschichten verschlingt und daß sie sich bei der Lektüre einer neuen Anthologie jedesmal sagt: »Das kann ich auch.« Und jetzt hat sie es uns gezeigt.
Linda gehört zum Volk der Mohawks und stammt ursprünglich aus dem nördlichen Teil des Staates New York (wo auch ich meine Jugendzeit verbrachte), und zwar circa vier Kilometer nördlich von Thendara – für einen Darkover-Fan natürlich ein passendes Plätzchen! Sie hat einen Magistertitel der Schönen Künste erworben und engagiert sich im Kampf für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner.
Als Beruf gibt sie Bildende Künstlerin an – und neben der Schriftstellerei dürfte es gerade in diesem Bereich und in der Musik am schwierigsten sein, sich durchzusetzen und seine Unabhängigkeit zu bewahren. Die vorliegende Geschichte ist ihr literarischer Erstling, obwohl sie auch schon nichtfiktionale Texte sowie Gedichte verfaßte, die sie bereits in Funk und Fernsehen öffentlich vorgetragen hat. Da Linda sich schon auf so vielen Betätigungsfeldern getummelt hat, sind wir froh, sie nun auch bei uns begrüßen zu können.
Das Schild über der Tür verkündete in wunderbar verzierten Kupferlettern ›Zunft der Portraitmaler‹.
Eryn hielt vor der Tür einen Moment lang inne und zupfte sich seinen Kasack zurecht, bevor er anklopfte. Mit dem geschnürten Bündel unter dem Arm versuchte er zumindest, nicht ganz so nervös zu wirken wie er tatsächlich war. Während seiner langen Anreise nach Thendara war er in Gedanken diese Szene unzählige Male durchgegangen, hatte sich die passenden Worte zurechtgelegt, hatte sich vorgestellt, wie er selbstsicher und geschäftsmäßig auftreten würde … aber jetzt, da der Augenblick endlich gekommen war, war er sich seiner selbst keineswegs mehr so sicher wie er gehofft hatte. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Er redete sich selbst Mut zu. Also bringen wir es hinter uns.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine große und geräumige Halle frei. Ein junger Mann, der sogar noch jünger als Eryn war, hielt ihm die Tür auf. Sein grüner Wappenrock wies ihn als Lehrling aus. Eryn verbeugte sich höflich und erklärte mit so fester Stimme, wie es ihm eben noch gelang: »Ich bin Eryn von Serrais, Geselle Eryn von Serrais. Ich habe für heute eine Verabredung mit Meister Therrold.«
Der junge Mann erwiderte die Verbeugung. »Wir haben eure Nachricht über die Relaisstation erhalten, Geselle Eryn. Meister Therrold wird euch
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