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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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schöpfte vorsichtig den gelben Rahm ab und füllte damit das Butterfaß. Die Gutsherrin verlangte zu ihrem Frühstück stets frische Butter, und das Buttern gehörte zu Brianas Lieblingsbeschäftigungen. Dazu hatte sie einen eigens ausgehöhlten Steinsitz, in dem sie sich zurücklehnen und vor sich hin träumen konnte, während sie zwischen ihren Knien mit der Kurbel den Rahm im Butterfaß schlug. Und Briana hatte dabei ganz wunderbare Tagträume.
    »Ich bin mit den Eimern fertig«, verkündete Nathan bibbernd. Er klapperte mit den Zähnen und seine Händchen vergrub er in den Achselhöhlen.
    »Oh je, du Armer, komm her, Chiyu.« Briana war aufrichtig um ihn besorgt und nahm seine verfrorenen, aufgesprungenen Hände in die ihren. Sie hielt sie umschlossen und beugte sich vor, um sie anzuhauchen. Ein Wärmestrahl schien durch ihren Arm in die Handflächen zu strömen. Noch war sie sich der Kräfte ihres Larans nicht bewußt, aber wenn sich wie jetzt die Notwendigkeit dazu ergab, meldeten sie sich instinktiv. Nach einiger Zeit wurde die Hitze fast unerträglich.
    »Wie machst du das?« rief Nathan verwundert und zog mit einem Ruck seine glühenden Hände zurück.
    »Wie mache ich was? Ich bin nur etwas wärmer als du, das ist alles.« Und wie zum Beweis, daß es nichts mit Zauberei zu tun hatte, breitete sie ihre Hände vor ihm aus. Dabei verschwieg sie ihm allerdings, daß sie selbst ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingern verspürte. Nathan runzelte nur die Stirn, stellte aber keine weiteren Fragen.
    »Sieh zu, daß du mit dem Fegen der Scheune fertig wirst«, wies sie ihn sanft an. »Das wird dich weiter aufwärmen.«
    Während sie sich zurücklehnte und mit der Holzkurbel den Quirl im Innern des Butterfasses betätigte, versank Briana allmählich in ihrem bevorzugten Tagtraum. Vor ihr erschienen bleiche, fein geschnittene Gesichter mit langen, dünnen, silbrig-weißen Haaren. Die Wesen in ihren Träumen waren groß gewachsen, doch ihre sechsfingrigen Hände waren eher winzig. Und wie Briana hatten sie große, silber-graue Augen und einen zierlichen Knochenbau. Ihre Stimmen klangen verführerisch, und Briana stellte sich vor, wie sie ihnen beim Denken zuhören konnte.
    In diesen Träumen befand sie sich stets in einer angenehm kühlen Wohnung, und selbst bei der bittersten Kälte liefen sie alle barfuß. Die einzelnen Personen oder Wesen im Raum konnte sie jedoch nicht beschreiben, da ihre Wahrnehmung stets zu verschwimmen drohte, wenn sie versuchte, sich auf Details zu konzentrieren.
    Die Räume in ihren Tagträumen schienen auf Aussichtsgalerien hoch oben in den Bäumen errichtet zu sein. Oft schloß sie dann die Augen, um sich dem sanften, kaum wahrnehmbaren Wiegen genußvoll hinzugeben. Sie glaubte, das grüne Moos und die winzigen weißen Blumen an den Wänden berühren zu können, die ein silbrig schimmerndes Licht verbreiteten.
    Wenn sie sich nicht in den Räumen auf den Baumkronen aufhielt, erfreute sie sich in ihren Visionen an den verschlungenen Pfaden, die auf breiten Ästen durch das Laubdach führten. Ab und zu traf sie auf drollige Wesen, die viel kleiner waren als sie und ein bleiches Fell, plattgedrückte Nasen und rote Augen hatten. Sie versuchte, sie nicht zu erschrecken, aber manchmal stießen sie schrille, vogelartige Schreie aus und verschwanden im Nebel. Eine Stimme in ihr sagte dann, dies seien die Winzlinge, die es nicht besser verstehen.
    Diese zauberhaften Tagträumereien über hoch erhabene, kühle Orte waren der schönste Teil in Brianas ansonsten einsamem Leben.
    Ein kurzer, erstaunter Aufschrei unterbrach sie. Nathan stand mit weit geöffneten Augen da und hielt sich die Hand vor den Mund. Briana fuhr sofort auf und versuchte, sich zu orientieren. »Meine Güte, du hast mich vielleicht erschreckt, Chiyu!« Einen Augenblick lang schlug ihr Herz schneller und sie brauchte eine Weile, bevor sie wußte, wo sie war.
    Nathans Blick war starr auf das Butterfaß gerichtet, und irgend etwas daran schien ihm fürchterliche Angst einzujagen.
    »Was ist denn los? Du siehst ja aus, als ob ich den Schwanz einer Kyor-Schlange in Händen hielte.« Sie umklammerte die Kurbel etwas fester und drehte sie zwei-, dreimal.
    Nathan war noch immer kreidebleich. »Ich habe alles gefegt und bin dann zurückgekommen. Du hast geschlafen und die Kurbel stand still, aber trotzdem konnte ich hören, wie die Buttermilch im Faß geschlagen wurde«, platzte er hervor. Er schaute entgeistert zu Briana auf und hoffte

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