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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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mich mein Körper weiterzieht.« Gehorsam bahnte sie sich ihren Weg durch die gewundenen Gängen, bis sie schließlich in den dunkelsten und muffigsten Teil des Gebäudes kam. »Hier ist es«, erklärte Vardin. »Ich kann es fühlen!« Anelia drehte sich um und leuchtete mit der Laterne in jede Ecke. Schließlich fiel der Lichtkegel auf eine große, längliche Holzkiste, die überraschenderweise einen Glasdeckel besaß. Nachdem sie den Staub und Schmutz von Jahrhunderten weggewischt hatte, konnte sie erkennen, was sich darin befand: der Körper eines Jungen, der jünger als sechzehn wirkte; dichtes, rostrotes Haar hing ihm über das Gesicht, ließ aber den verdrießlich verzogenen Mund noch deutlich erkennen. Der Körper zeigte keinerlei Anzeichen von Verwesung oder Auszehrung; vielmehr hatte es den Anschein, als ob er schliefe, auch wenn der Brustkorb regungslos blieb und keine Atmung wahrnehmbar war. Seine Gliedmaßen waren allerdings derart verdreht, daß es auf einen äußerst unruhigen Schlaf hindeutete. Vardin war tatsächlich der Zeit entrückt.
    »Schau dir das Schloß an«, forderte er Anelia auf. Sie hob die Laterne hoch, um die eine Seite der Kiste im Lichtschein besser betrachten zu können. In das Holz war ein Sternenstein eingelassen.
    »Was ist das für ein Schloß?« Es war spiralförmig gewunden. Anelia rieb mit den Fingern über die sonderbare Oberfläche und spürte dabei, wie ein Prickeln ihren Körper durchlief.
    »Ein Matrixschloß«, erklärte er. »Es entspricht genau Marelies Matrixschlüssel. Diesen Schlüssel brauchen wir, um den Sarg zu öffnen. Das wird gleichzeitig auch meine Gefängnistür in der Oberwelt aufstoßen.«
    »Aber ich kann den Schlüssel nicht nehmen«, stöhnte Anelia. Wieder überkamen sie Verzweiflung und Angst.
    »Doch, das kannst du«, versicherte Vardin. »Es ist ganz leicht, und Lady Marelie wird es nicht einmal bemerken.«
    »Nein, das mache ich nicht!« Schon der Gedanke, irgend etwas in Marelies Kästchen anzurühren, erfüllte sie mit Schrecken. Anelia stürzte die Gänge zurück, stolperte über Kisten und stieß sich das Knie an. Schließlich erreichte sie den Eingang, löschte die Laterne und zwängte sich ins Freie. Was Vardin von ihr verlangte, ging über ihre Kräfte.
    Er versuchte in den kommenden zwei Tagen mehrfach, das Thema wieder anzuschneiden, aber sie weigerte sich standhaft, darauf einzugehen; der Respekt vor ihren Dienstherren war einfach zu groß. »Ich bin nicht so wie du«, meinte sie verzagt. »Ich bin ängstlich und schüchtern. Ich bin nichts besonderes.«
    »Für mich bist du es«, erklärte er leise.
    »Das sagst du nur, weil du mich überreden willst, dir zu helfen«, rief sie vorwurfsvoll. »In Wahrheit machst du dir doch gar nichts aus mir.« Im gleichen Augenblick, da sich dieser Gedanke bei ihr bildete, konnte sie spüren, wie Vardin zusammenzuckte. Und auch sie wußte, daß sie ihm mit dieser Anschuldigung unrecht tat.
    »Das ist nicht wahr«, flüsterte er nur. Von dem Schlüssel sprach er seitdem nicht mehr. Aber das Verhältnis zwischen ihnen war nun doch belastet, und Anelia schämte sich dafür, die wahren Motive ihres Freundes angezweifelt zu haben. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie ihn um das Gleiche gebeten. Wäre sie doch bloß nicht so ein Feigling!
     
    Nach einiger Zeit entschied Marelie, sie habe sich nun lange genug geschont und ein Ausritt würde ihr bestimmt gut tun. Carissa Leynier schlug für die ganze Familie ein Picknick in den Bergen vor. Eine bessere Gelegenheit, an den Schlüssel zu kommen, würde sich Anelia nicht mehr bieten. Marelie verschloß ihr Kästchen nie, da sie davon ausgehen konnte, daß niemand in den Sachen einer Bewahrerin wühlen würde. Ganz egal, wie groß Anelias Angst auch war, wenn sie jetzt nicht den Versuch unternahm, blieb Vardin womöglich auf ewig gefangen.
    »Und selbst wenn sie es bemerkt«, bestärkte Vardin sie, »muß sie doch erst zurückreiten, und das gibt uns genügend Zeit, mich zu befreien. Und dann kann ich dich beschützen. Vorher mußt du noch einige Sachen für unsere Flucht vorbereiten«, fügte er hinzu. »Dann können wir gleich aufbrechen, sobald du den Sarg geöffnet hast. Und wie man sich vor den Laran -Trägernversteckt hält, darin habe ich einige Übung.«
    Anelia konnte nicht nur genügend Proviant und Kleider für ihre Flucht beiseite schaffen, sondern auch noch zwei alte, aber durchaus brauchbare Wintermäntel organisieren. Etwas schuldbewußt

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