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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Gnade umgestimmt zu werden.«
    »Aber Ihr versteht mich nicht recht, mein Lord. Hinter dieser Geschichte verbirgt sich mehr.«
    »Jetzt versucht sie hier die gleichen schäbigen Tricks wie schon im Dorf«, behauptete Craven. »Sie möchte doch nur Zeit für ihre Tochter schinden!«
    »Das tue ich nicht, mein Richter. Aber wenn Ihr meine Tochter schon zum Tode verurteilt, solltet Ihr dann nicht wenigstens anhören, warum sie so handelte?«
    Mikhael schloß die Augen und rieb sich mit den Fingern die angespannten Nackenmuskeln. Die Gelenke knackten dabei und erinnerten ihn daran, wie alt er geworden war und wie lange er schon über diese Leute zu Gericht saß. Wie viele Male habe ich mich dabei wohl geirrt? fragte er sich selbst. »Ich werde mir anhören, was sie zu sagen hat.«
    Die Amme nickte und knickste vor ihm. »Für eine Witwe ist das Leben hier in den Bergen nicht einfach, mein Lord. Es gibt so viele unverheiratete Frauen, da möchte kein Mann eine nehmen, die schon ein anderer besessen hat. Aber anderes verlangen sie schon! Wenn nun eine Frau wie meine Tochter ganz ohne den Schutz von Ehemann, Bruder oder Vater lebt, glaubt ein Mann die Freiheit zu besitzen, sich von ihr zu nehmen, was er will.«
    »Nicht unter meiner Gerichtsbarkeit«, erklärte Mikhael scharf und beugte sich weit über den Richtertisch vor. Er blickte die Menge im Saal durchdringend an. War seine Autorität mit den Jahren schon so ins Wanken geraten? Er konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie Beltran die Burgfeste erobert und dann seine minderjährige Schwester Lori vergewaltigt hatte. Lori war bei der Geburt von Domenic, dem Balg des Banditen, gestorben. Aber das lag nun auch schon sechsundfünfzig Jahre zurück.
    »Wer soll das getan haben?«
    »Was nützt es jetzt noch, wenn ich es verrate? Ich werde es nicht sagen.« Reney blickte sich nervös im Saal um, so als ob sie einen Schlag von hinten erwartete. »Ich habe meine Gründe dafür.«
    Craven knurrte angewidert. »Natürlich sagt sie nichts. Weil so etwas nie passiert ist! Oder vielleicht ist sie öfters mit einem gegangen, und jetzt kann sie es nicht mehr so genau auseinanderhalten. Ich habe doch selbst gesehen, wie Lorina in diesen unanständig engen Hosen im Garten umherstolziert ist und dabei mit ihren Hüften wackelte …« Er leckte sich die Unterlippe und starrte Lorina an. Plötzlich fuhr er zornig fort: »Sie fordert mit ihrem Verhalten die Männer ja förmlich dazu auf, zu ihr zu kommen.«
    »Genug davon. Ich habe mir deine Version angehört, Craven. Jetzt ist Reney an der Reihe.«
    Craven schlich sich zu seinem Platz zurück und kam dabei an Lonira und Reney vorbei, die er beide herausfordernd anstarrte. Lonira wich seinem Blick aus und senkte die Augen, aber Reney hielt ihm stand, auch wenn ihre Hände dabei nervös zuckten, so als ob sie am liebsten einen Dolch gezückt hätte. Sie wartete, bis Craven ans andere Ende des Saales gegangen war, bevor sie weitersprach. »Es ist nicht wahr, was er sagt. Lonira würde sich nie einem Mann hingeben. Sie weiß, was es für sie bedeuten würde.«
    Reney runzelte die Stirn und trat unruhig von einem Bein aufs andere. Leise und langsam, bewegt von den vielen Erinnerungen, begann sie ihre Geschichte zu erzählen. »Kurz nach Loniras Hochzeit am Mittsommerfest letzten Jahres stellten wir fest, daß sie ein Kind erwartete. Wir freuten uns alle so sehr. Aber dann starb ihr Mann, noch bevor der erste Schnee gefallen war.« Sie unterbrach sich; ihre kummervolle Miene verriet, daß sie schon zu viele hatte sterben sehen. »Zwei Langwochen vor Loniras Niederkunft, zur Zeit des ersten Tauwetters, mußte ich an einem einzigen Tag gleich drei Babys entbinden. Das war in Remkraig. Ich ritt mit dem ersten Vater, der mich gerufen hatte, zu seinem Dorf. Sobald ich einmal dort war, setzten auch bei zwei anderen Frauen die Wehen ein, und alle drei Geburten verliefen ungewöhnlich schwer. Liriel und Mormallor standen voll am Himmel, und bei solch einer Konstellation haben wir Hebammen immer alle Hände voll zu tun.«
    Dieser Satz traf Mikhael wie ein Dolchstoß ins Herz. Er zitterte, als die Erinnerung an Elline und die Szene in ihrem Schlafgemach wieder in ihm aufstieg. Er sah, wie sich in der Glasscheibe des einzigen kleinen Fensters sowohl die Flammen des Kaminfeuers als auch Ellines Augen spiegelten. Seine Frau sang ein albernes Kinderlied, dessen Text sie dennoch ernst nahm, so wie es alle werdenden Mütter tun, die der langen Warterei müde

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