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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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regierten nicht nur, weil schon ihre Vorfahren herrschten, selbst wenn diese Ansicht beim einfachen Volk weit verbreitet war; sie regierten das Land auch, weil ihr Laran sie mit einer Vielzahl von Fähigkeiten ausstattete, die den Kopfblinden nicht zur Verfügung standen. Zumindest gab es ihnen die Möglichkeit, bessere Regenten zu sein.
    Mikhael steckte eine Hand unter seine Robe und berührte seinen Sternenstein. Eine abstoßende Welle des Zorns und der Verurteilung brach über ihn herein. Offenbar hatte Reneys Rede die Menge keineswegs so bewegt wie ihn. Wenn er jetzt Lonira für unschuldig erklären und freilassen würde, würden die Bürger von Aldaran das Gesetz selbst in die Hand nehmen und sie umbringen. Damit wäre auch sein Ansehen als weiser und gerechter Regent dahin. Sprach er sie aber schuldig, konnte er in seinem Urteil keine Gnade walten lassen. In diesem Teil Darkovers herrschten strenge Ansichten. Kinder galten als etwas Heiliges, ob nun geboren oder noch ungeboren. Für die meisten seiner Untertanen war es ein ebenso großes Verbrechen, eine Schwangerschaft abzubrechen, wie ein Kind im Alter von drei Jahren zu vergiften.
    Für Mikhael lag der Fall nicht so klar. Hätte er damals vorhersehen können, was Elline bei der Entbindung widerfahren sollte, er hätte selbst zu der Calebain -Wurzelgegriffen. War er also genauso schuldig wie Lonira?
    Als er das unruhige Scharren der Füße und die immer häufigeren Flüstereien hörte, wußte er, daß die Entscheidung nicht länger aufzuschieben war. Seine alten Gelenke ächzten, als er sich mühsam erhob. Die zornigen und erwartungsvollen Blicke der Bürger machten ihm klar, daß er nur ein einziges Urteil fällen konnte. Als er es verkündete, geschah dies mit schleppender Stimme voller Traurigkeit. »Ich bin davon überzeugt, daß Lonira die Geburt ihres Kindes verhindert hat.« Aus der Menge kamen sofort scharfe Zwischenrufe, aber Lord Aldaran brachte seine Bürger mit einem einzigen Blick wieder zum Schweigen. »Auch ich habe getötet. Manchmal, um mich selbst oder Aldaran zu verteidigen. Manchmal, um meine Familie zu schützen. Und manchmal auch als Strafe, so wie man heute von mir erwartet, eine solche Strafe zu verhängen.« Mikhael richtete sich auf, wie ein alternder Falke, der noch einmal sein Reich überblicken will, aber schon zu müde ist, um zum Flug anzusetzen. »Dies werde ich nicht tun. Heute wird es kein Todesurteil geben.«
    Mehre Bürger sprangen schreiend auf und drängten sich empört nach vorne. Lonira wurde hin- und hergestoßen. Die Wachen von Aldaran eilten herbei, um sich schützend zwischen sie und den wütenden Mob zu stellen.
    »Hört mich an!« donnerte Mikhael mit seiner Befehlsstimme. Augenblicklich herrschte Ruhe. »Ich vertraue auch auf Reneys Erfahrung und Sachkenntnis.« Er trat in die Mitte des Gerichtssaals und zog Lonira zu sich. »Seht euch diese Frau an! Auch ohne das Wissen einer Hebamme kann jeder erkennen, daß sie dieses Kind nicht hätte zur Welt bringen können. Sie wäre bestimmt bei der Geburt gestorben, und nicht nur sie, sondern höchstwahrscheinlich auch das Kind. Und das wußte sie.«
    Er ließ Lonira wieder los und schleppte sich zu seinem Richterstuhl zurück. Nachdem er sich darauf niedergelassen hatte, nahm er sich die Zeit, die dichtgedrängte Menge im Saal zu überblicken. Plötzlich war er sich seiner Sache nicht mehr sicher und fürchtete sich fast vor den Worten, die er jetzt zu sagen hatte. »Ich erkläre hiermit, daß Lonira in dem Glauben handelte, ihr eigenes Leben zu schützen, als sie das Leben ihres Kindes nahm.« Und noch bevor sich dagegen Protest erheben konnte, fügte er hinzu: »Ich erkläre aber auch, daß Lonira nicht schuldlos ist. Wenn wir sie auf freien Fuß setzen, besteht die Gefahr, daß sie eines Tages wieder in die gleiche Lage gerät. Deshalb verfüge ich als ihre Strafe, daß sie in meine persönlichen Dienste treten muß und künftig nie mehr mit einem Mann zusammen sein darf, es sei denn, dieser Mann ist schon zu alt, um noch Kinder zu zeugen.«
    Mikhael, der sich bislang so aufrecht gehalten hatte, ließ jetzt die Schultern hängen. Er hatte all seine Kräfte verausgabt. Die Dörfler in der Menge diskutierten aufgeregt das Urteil, aber keiner wagte es, ihn hier direkt anzugreifen. Er ahnte, was sie jetzt über ihn dachten: auf seine alten Tage muß er wohl den Verstand verloren haben; läßt sich von der Schönheit eines jungen Mädchens einwickeln. Noch jahrelang

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