Das Wort des Hastur - 12
öffnete die Augen. »Ich möchte dir etwas sagen«, fuhr Darrel fort. »Ich habe gestern abend mit meinem Vater gesprochen.« Rafael nickte. Jetzt also war es soweit.
»Ich habe ihn gebeten, für mich keine weiteren Treffen mit Frauen zu arrangieren.«
Die unerwarteten Worte trafen Rafael wie ein Schock. »Was sagst du da?«
»Ich habe ihn gebeten, damit aufzuhören. Ich möchte nicht heiraten.«
Rafael richtete sich auf und blickte den Freund gespannt an. »Das kann nicht dein Ernst sein! Seitdem du zehn warst, haben wir doch immer wieder von deiner Heirat gesprochen.« Er mußte wehmütig lächeln, als er an die genauen und ausgeklügelten Pläne dachte, die er, Darrel und ihre gemeinsame Freundin Margali so eifrig entworfen hatten. »Sie sollte im Mittsommer stattfinden, damit man draußen tanzen könnte. Die besten Musiker sollten aufspielen. Und nur das Beste sei gut genug! Wir haben sogar schon die Tischordnung festgelegt – wir wußten genau, wer neben wem sitzen soll, damit kein Streit entsteht. Warum hast du alle diese Pläne vergessen?«
Darrels wunderbar dunkelblaue Augen ruhten auf Rafe. Er lehnte sich zu seinem Freund hinüber, zog ihn noch näher an sich und küßte ihn dabei auf die Stirn. »Du bist der Grund!«
Rafaels Herz lief über. Nein – das ging wirklich zu weit. Hatte er Darrel verdorben? Sollte er ihn auf seine Stufe herabgezogen haben? In den Sumpf? Bestimmt, wenn auch widerwillig, löste sich Rafael aus der Umarmung des älteren Jungen. Aber er war ja kein Junge mehr, sondern ein Mann. Mit fünfzehn galten sie beide als erwachsen, alt genug, um die Arbeit eines Mannes zu verrichten, alt genug um zu heiraten, alt genug …
… ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
»Nein, Darrel«, meinte Rafael traurig. »Das darfst du nicht sagen.«
»Und warum nicht?« Darrel klang plötzlich verunsichert. Vielleicht lag es an der unerwarteten Zurückweisung, vielleicht aber auch an dem unüberhörbaren Schmerz, der aus den Worten seines Freundes sprach. Langsam glitt seine Hand über Rafes Brust, streichelte ihm den sonnengebräunten Hals und fuhr ihm dann durch das lange braune Haar, das in dichten Locken auf seine Schultern fiel. Er liebkoste sie, und bestärkt durch diese Zärtlichkeit erklärte er: »Wir wissen beide, daß wir es wollen. Wir wissen, daß wir so sind.«
»Nein, das ist nicht wahr«, widersprach Rafael. »Jedenfalls bist du nicht so. Hast du denn das schöne Mädchen vergessen, das du einmal heiraten wolltest? Und Kinder! Willst du denn keine Kinder?« Rafaels Stimme überschlug sich.
Darrel schüttelte den Kopf. »Eine Zeit lang habe ich geglaubt, ich wollte das.« Er hielt inne und blickte gedankenverloren in die Ferne, zu den Wäldern, die das kleine Dorf umstanden. »Ich habe über all die Geschichten nachgedacht, die wir uns gegenseitig ausgemalt haben, und jetzt weiß ich, daß ich nichts davon wirklich will. Kein hübsches Häuschen mit einer braven Frau und Kinderchen, die mir auf dem Schoß rumturnen.« Er richtete seinen Blick wieder auf Rafe, und mit neuer Zuversicht lächelte er ihm noch liebevoller zu. »Ich will nur dich.«
Rafael wandte sich ab. So hatte er sich das bestimmt nicht vorgestellt! Wie lautete doch das Sprichwort? Die Welt nimmt ihren Lauf und wenig Rücksicht, was du willst. Und was wollte er nun wirklich? Für immer ein Kind bleiben, und keinen um ihn herum, der sich daran störte, daß die beiden Jungen noch immer nicht verheiratet waren?
»Nein!« Er riß sich aus diesem Tagtraum. »Ich lasse es nicht zu, daß du dir dein Leben verpfuschst! Du hast dir doch immer ein ganz normales Leben gewünscht. Das darfst du nicht einfach wegen mir aufgeben. Wir sind keine Kinder mehr, die nachts zusammen schlafen, kichern und sich küssen. Ich weiß, was ich bin, und ich kann es nicht ändern. Ich bin …« Selbst jetzt zögerte er, das Wort laut auszusprechen.
»Ombredin?« Darrel nahm es ihm nüchtern ab. »Na und? Das weiß ich doch. Wir beide wissen es. Und ich habe lange darüber nachgedacht, als du mir erzählt hast, daß du nichts empfindest, wenn du mit Mädchen zusammen bist.« Natürlich hatte auch Rafael es ausprobiert, aber der Erfahrung nichts abgewinnen können. Darrel wurde ganz gegen seine Gewohnheit plötzlich sehr ernst, als er zum ersten Mal aussprach, was auch ihn tief bewegte. »Ich habe dich damals immer ausgelacht, habe es für weiß wie komisch gehalten. Aber jetzt lache ich darüber nicht mehr. Jetzt verstehe ich, was du
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