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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Aber mein Vater mag seinen Beruf nicht. Wenn ich könnte, würde ich
ihn am liebsten überreden, in der Schule zu kündigen und das zu machen, was er eigentlich will.«
    »Er ist ein kluger Mann.«
    »Weißt du, er sitzt jeden Abend in seinem Zimmer und schreibt seine Geschichten, selbst im Urlaub. Manchmal denke ich, vielleicht würde sich was zwischen den beiden ändern, wenn er diese Geschichten endlich einmal veröffentlichen würde. Meine Mutter sitzt auf dem Balkon, und er schreibt. Sie glaubt, dass er das nur tut, um nicht mit ihr über ihre Probleme zu sprechen. Wenn sie vielleicht irgendwann sieht, dass es ihm ernst damit ist …«
    »Das ist naiv, Maja.«
    »Gut, dann bin ich eben naiv.«
    »Du musst an dein eigenes Leben denken.«
    »Ist das jetzt ein guter Rat?«
    »Siehst du, so ist es richtig. Verteidige dich. Lass dir nichts gefallen. Das ist das Einzige, was man beeinflussen kann. Das Leben der anderen ist nicht zu verändern. Weißt du, wie viele Leute jeden Tag irgendwo in einer Großstadt sitzen und davon träumen, am Meer ein Bier zu trinken und die Füße in den Sand zu strecken? Und wenn der Moment dann da ist, kehren sie in Gedanken an die Orte zurück, denen sie eigentlich entfliehen wollten. Das ist die endlose Wiederholung der immer gleichen Probleme, ein Verbrechen an dem Angebot, die Zeit, die man hat, sinnvoll zu nutzen. Ich ärgere mich auch über mich, dass ich schon wieder ständig an die Arbeit in Berlin denke.«
    »Und das ist nicht naiv?«

    »Wenn man es ernst nimmt, nicht. Versuch’ deine Eltern dazu zu bringen, die Zeit auf der Insel zu genießen.«
    »Das musst du nicht. Wirklich nicht! Ich bin froh, dass wir hier waren.«
    »Ich muss los! Ich werde sowieso viel zu spät im Hotel sein.«
    Sie standen auf, während ich auf meinem Stuhl sitzen blieb.
    »Kommst du nicht mit?«
    »Ich fühle mich gerade so wohl hier. Ich will noch nicht ins Hotel. Es ist ja nicht weit.«
    »Maja, mir wäre lieber, du kommst mit mir mit.«
    »Nein. Es ist in Ordnung. Ich bleibe noch eine Weile.«
    »Geh bitte am Strand zurück. Die Männer vorhin in der Nähe des Dorfes waren seltsam.«
    Sie sahen mich besorgt an, dann beugten Sie sich zu mir, gaben mir einen Kuss auf die Wange und sagten: »Ich mag dich, Maja, wirklich.«
    Die Dämmerung setzte ein. Das Meerleuchten verstärkte sich. Der Besitzer der Strandbar schloss die Läden. Ich ging denselben Weg zurück, den wir gekommen waren.
    In der Nähe des Dorfes bemerkte ich, dass mir einige Kinder folgten, darunter der ältere Junge, der hinter den alten Männern hergelaufen war und in den Sand gespuckt hatte.
    Wie aus dem Unsichtbaren des Strandgestrüpps waren die Kinder aufgetaucht, immer einen gewissen
Abstand zu mir einhaltend. Halbwüchsige Jungen, die mich zuerst neugierig beobachteten und von Zeit zu Zeit den Abstand verringerten, dann noch näher kamen und ihre merkwürdig stummen Blicke auf mich geheftet hielten, als würden sie darüber nachdenken, mich anzufassen oder mir die Hand hinzustrecken, um zu betteln. Sie blieben immer in meiner Nähe, ein mitlaufender Halbkreis. Wenn ich versuchte, sie anzusprechen, reagierten sie nicht. Dann tat ich etwas Dummes - auf dem Boden lag eine halb zertretene Heineken-Bierbüchse. Ich versuchte sie dem ältesten Jungen wie einen Ball zuzuspielen, indem ich gegen sie kickte, sodass sie über den sandigen Boden schleuderte.
    Der Junge sah auf die Büchse, ohne sich zu rühren.
    Einige der kleineren Jungen verschwanden nun, während er mich herausfordernd anblickte, als hätte ich ihn provozieren oder mit der Büchse verjagen wollen. Es war natürlich vollkommen sinnlos, als ich ihn auf Englisch fragte: »Do you know soccer?«
    Er sah mich misstrauisch an, umringt von nun vielleicht vier oder fünf weiteren Kameraden, und es schien mir, als ob sich seine Augen verengten. Seine Haltung erinnerte mich an eine Katze, die zum Sprung ansetzt. Obwohl der Junge nicht einmal so groß war wie ich, machte er mir Angst. Dieses stumme Dastehen und Abwarten hatte etwas Unheimliches an sich.
    Ich ging weiter und wollte wieder zum Meer hinuntergehen, um am Strand zum Hotel zurückzulaufen. Aber ich sah, dass in diesem Moment zwei erwachsene Männer den Pfad heraufkamen; der eine war
traditionell gekleidet, er hatte ein langes flachsfarbenes Gewand an, das ihm bis weit über die Knie reichte, der andere trug ein braunes Hemd und eine dunkle Hose. Obwohl es keinen Anhaltspunkt gab, dass die Männer mich bemerkt hatten

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