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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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aus Schüchternheit, Erstaunen und Ärger schnell zu mir herüber, dann sagte er leise: »Ich bin nur zufällig hier. Ich bin Lehrer an einer Schule in Süddeutschland.«
    Rasch glitt der Schriftsteller zu den anderen Gästen hinüber. Ich sah in Ihrem Gesicht, dass Sie sich ärgerten, einen Fehler begangen zu haben. Als er außer Sichtweite war, hoben Sie nur die Schultern und sagten betont gelassen: »Er ist ein schwieriger Mensch, aber darauf kommt es nicht an. Sie können sich vorstellen, wie ein Interview mit ihm abläuft.« Dabei nickten Sie meinem Vater freundlich zu. »Wir sollten dringend etwas essen.«
    Im Laufe des Abends kamen Sie mit vielen Leuten ins Gespräch. Sobald Sie bemerkten, dass meine Eltern für sich standen, bezogen Sie sie in Ihre Unterhaltungen mit ein. Es schien geradezu so, als ob da ein Zwang war, der Sie beherrschte, auf unauffällige, kaum bemerkbare Weise, Menschen in ein Gespräch zu führen, Menschen, von denen Sie glaubten, Sie hätten sich etwas zu sagen. Mir brachten Sie einen alkoholfreien Cocktail.
»Jetzt müssen wir uns ganz offiziell verhalten, Maja.« Ich fühlte mich unsicher an diesem Ort, in dieser mir vollkommen fremden Welt.
    »Warum hast du über meinen Vater gesagt, er sei Schriftsteller?«
    »Ich wollte dir eine Freude machen.«
    »Ich habe es nur dir erzählt …«
    »Ja, das ist eine Krankheit in meinem Beruf, wir können nichts für uns behalten. Es tut mir leid. Ich mache es wieder gut.«
    Der Einzige, der sich von der allgemeinen guten Laune nicht anstecken ließ, war ein junger tunesischer Journalist. Er hatte kurze schwarze Haare, eine breite Stirn und trug einen hellen Anzug mit einer rötlichen Krawatte. Ich hörte, wie er zu Ihnen sagte: »Es ist wie immer. Von unserer Zeitung ist kaum jemand eingeladen worden. Nicht mal meinen Namen auf der Einladungskarte haben sie richtig geschrieben.«
    Sie legten ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter.
    »Ich weiß. Ärgere dich nicht. Für eure Zeitung sind solche Treffen wichtig. Sie unterstützen die Intellektuellen nur dann, wenn es für sie selbst auch eine Bühne gibt. Du weißt doch, wie es läuft.«
    »Meine Kollegen wissen es aber nicht.«
    Sie stellten den tunesischen Journalisten dem deutschen Gastgeber vor und zwinkerten Ihrem Kollegen zu, als ob er dringend eine Ermunterung benötigen würde. Dann fragten Sie mich, als Sie von der Bar zurückkehrten:

    »Gefällt es dir?«
    Ich erhielt nun ein Glas Limettensaft, in dem gegen die Glaswand stoßende Eiswürfel schwammen.
    »Ich bin das erste Mal auf so einem Fest.«
    »Wenn man mit den Richtigen ins Gespräch kommt, ist es lustig. Siehst du dahinten die Musiker? Einer von ihnen ist in deinem Alter. Du interessierst dich doch für Musik?«
    Ihr Weinglas stieß leicht an meins.
    »Ja, Gleichaltrige interessieren mich sehr.« Ich merkte, wie wieder der alte Trotz in mir hochstieg, und es störte mich, dass mir keine gelasseneren Antworten einfielen.
    Neue Gäste erschienen auf dem Platz. Ein katholischer Priester aus Tunis war da, einige Schauspieler aus Kairo, die gerade eine Tournee durchs Land machten, und ein alter Bektashi-Derwisch mit einem langen Umhang und einem weißen Turban auf dem Kopf. Der Alte sprach etwas Deutsch. Er stand neben Ihnen, Sie flüsterten ihm ein paar Worte zu, dann winkte er freundlich in meine Richtung. Ich hatte mich abseits gehalten. Er hatte ganz trockene Hände. Er fragte mich, wie alt ich sei und wie mir die Insel gefalle.
    »Ich bin das erste Mal hier. Die Strände sind wunderschön.«
    Er strich sich durch seinen weißen Bart. »Die Strände, die Strände. Es war früher ein besserer Ort. Jetzt ist er nur noch gut für die Besucher.«
    »Mir gefällt es wirklich. Die Menschen sind anders. Freundlicher.«

    »Die Menschen sind nirgendwo anders. Die Menschen sind überall gleich. Das ist das Unheimliche.«
    Ich blieb noch eine Weile neben dem seltsam gekleideten Alten stehen; er starrte vor sich hin und war tief in Gedanken versunken. Offenbar hatte er mich vollkommen vergessen. Ich begab mich zu der Veranda des Hauses und suchte mir einen Platz, von dem aus ich das Geschehen rings um das Haus beobachten konnte.
    Wenig später sah ich Sie und meine Eltern mit einer jungen Frau sprechen, die einen roten Rollkragenpullover trug, eine Mitarbeiterin vom deutschen Konsulat. Wieder winkten Sie mir zu. Ich hatte mir Konsulatsleute anders vorgestellt, ernster und verschlossener. Aber diese Frau war liebenswert, freundlich.

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