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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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war unerträglich heiß. Die Sonne brannte hart und stechend auf den Pfad herunter; das Licht hing wie ein milchiger Dunstvorhang über dem Meer, das zwischen dem Gestrüpp und den Baracken am Weg hindurchleuchtete. Unsere Laufschritte klangen auf dem sandigen Weg wie die dumpfen Töne von Flüchtenden in alten Filmen. Immer wieder drehten Sie sich zu mir und lächelten mich an. Trotz der Hitze hätte ich endlos weiter neben Ihnen laufen können. Ich wollte fortrennen, fort von meinen Eltern, fort von dem Gedanken, dass es sinnlos war, bei den beiden auf eine Veränderung zu hoffen.
    Das Dorf, an dem wir vorbeikamen, wirkte wie ausgestorben. Nur die Ziegen erschienen an ihrem brüchigen Gatter und schabten mit ihren Hörnern am Holz. Links lag nun das Meer in vollkommener Stille ausgebreitet.
    »Du bist wirklich eine gute Läuferin!«

    »Ich glaube, ich habe bald keine Kraft mehr.«
    »Machen wir eine kurze Pause.«
    Sie lachten mich an. »Es ist selbstmörderisch, in dieser Mittagshitze laufen zu gehen.«
    »Wir sind auch die Einzigen, die das tun.«
    »Ja, aber ich musste dringend raus aus dem Hotel. Statt auszuschlafen, habe ich den ganzen Morgen versucht, meine Kontaktleute auf der Insel zu erreichen. Der Schriftsteller meldet sich nicht, die Leitungen sind angeblich dauernd überlastet, niemand war zu erreichen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, das ganze Chaos in Tunis ergreift hier wieder Besitz von mir. Es ist schön, dass du mitgekommen bist. Lass uns ein Stück am Ende der Siedlung entlanggehen, da gibt es ein paar Bäume. Vielleicht finden wir noch eine offene Strandbar.«
    Ich beugte mich nach vorn, stützte die Hände auf meine Oberschenkel und atmete durch. Ein wundervolles Erschöpfungsgefühl überfiel mich. Sie standen abseits und hielten die Hand vor die Augen, als suchten Sie etwas in der Ferne des Strandes. Dann bogen wir auf einen anderen Pfad ein, wo sich einige Pinienbäume und Schattenflächen befanden. Wir redeten kein Wort, und ich genoss es, in Ihrer Nähe zu sein. Eben wollte ich Ihnen sagen, wie froh ich war, mitgekommen zu sein, ich wollte mich für meine patzigen Antworten am Vorabend entschuldigen, als Ihr Telefon in Ihrer Hosentasche klingelte. Sie gingen ein Stück zur Seite, und ich beobachtete, wie sich Ihr Gesicht anspannte. Sie gaben mir ein Zeichen, dass
das Gespräch wichtig sei. Ich hörte, wie Sie leise auf Deutsch sprachen. »Das geht jetzt nicht … Das war anders vereinbart … Wirklich nicht … Gut, ich verstehe.«
    Aus Richtung des Dorfes kamen einige ältere Männer den Sandweg heraufgelaufen, die in ihrer Mitte einen mit Säcken bepackten Esel mit sich führten. Der Esel warf immer wieder den Kopf in den Nacken und schnappte nach Luft. Die Männer trugen lange Gewänder und hatten dunkle, sonnenverbrannte Gesichter. Ein einzelner, missmutig wirkender Junge, der kaum älter als vierzehn Jahre alt sein konnte, folgte ihnen in einigem Abstand. Der Anblick von einem durchgeschwitzten telefonierenden Mann und einem jungen Mädchen in kurzen Sporthosen, die in der Mittagshitze durch das Dorf rannten, war für die Männer offenbar sonderbar, denn sie sahen uns mit ernsten Gesichtern an, als seien wir zwei vollkommen Verrückte, die es seltsamerweise ausgerechnet auf ihren Pfad verschlagen hatte. Die Männer blickten in meine Richtung und musterten mich von Kopf bis Fuß. Ohne sich in Ihrem Gespräch stören zu lassen, kamen Sie mit schnellen Schritten zu mir und stellten sich wie ein Sichtschutz vor mich, sodass ich den Blicken der Männer entzogen war. Die Männer blieben einen Augenblick stehen und riefen Ihnen etwas zu. Sie steckten das Telefon in die Tasche und sagten kein Wort.
    Auf den Gesichtern der Tunesier war weder Wut noch Ärger zu sehen, sondern vielmehr eine aus dem
Moment geborene Verachtung. Unendlich viel Zeit schien zu vergehen, ehe die Männer sich aus ihrer beobachtenden Starre wieder lösten. Nachdem sie vorübergegangen waren, drehte sich der Junge noch einmal um und spuckte dicht vor uns in den Sand. Ich sah, wie sich Ihre Hände anspannten, dann lächelten Sie, als wäre dieser kleine Fleck im Sand nichts weiter als ein dummer Scherz. Ich war erleichtert.
    »In diesem Gebiet wollen sie eben keine Touristen. Man kann nichts machen.«
    »Ist alles in Ordnung? Sie sahen eben am Telefon nicht sehr glücklich aus.«
    »Das Hotel. Der Schriftsteller will mich in einer halben Stunde treffen.«
    »Dann müssen wir zurück …«
    »Nein, müssen wir nicht.

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