Das Wuestenhaus
Schade, dass wir unseren neuen Bekannten heute nicht beim Frühstück gesehen haben. Ich hätte gern noch mal mit ihm darüber gesprochen. Der Gedanke, dass das Tier, das man in die Wüste schickt, ja auch wiederkommen könnte, ist faszinierend. Ich muss unbedingt etwas von dem ägyptischen Schriftsteller lesen, auf den er hier wartet.«
Immer wieder kam er auf den vergangenen Abend zurück. »Wir hatten eine gute Zeit gestern, fandest du nicht?«
Ich jedoch dachte in ganz anderer Weise an Sie. Ich wünschte mir, dass es zwischen uns noch einmal zu so einem Gespräch wie in der Nacht kommen würde.
Meine Mutter hatte sich indessen eine Überraschung für uns ausgedacht, in deren Folge ein kurzer Streit ausbrach, der mir das Gefühl gab, dass der Aufenthalt auf der Insel die Dinge zwischen meinen Eltern nicht verbessert, sondern verschlimmert hatte. Während mein Vater neben mir saß und schrieb, kam meine Mutter fröhlich aus dem Hotel den Strandweg heruntergelaufen, mit einem Obstpicknickkorb in
der Hand. Sie hatte Pfirsiche, Käse, Limonade und eine große Wassermelone besorgt, dazu ein farbiges Tuch aus den Marktläden in der Nähe des Hotels. Sie breitete das Tuch in einer ein wenig entfernt liegenden, windgeschützten Sandmulde aus, schnitt die Melone auf und winkte uns zu. Mein Vater, der beim Schreiben nicht gestört werden wollte, stand lustlos auf, ging mit mir zu der Mulde und meinte ironisch, ohne es jedoch so abfällig zu meinen, wie es klang: »Das ist ja ein richtiger tunesischer Mutter-Feiertag.« Meiner Mutter schossen die Tränen in die Augen. Sie stand auf und lief zum Wasser hinunter.
»Du bist unmöglich, Papa.« Ich rannte ihr hinterher und versuchte, sie zu trösten.
»Er ist manchmal so gemein. Statt zu sagen, dass er schlechte Laune hat, muss er es uns verderben.«
»Komm, er wird sich entschuldigen.«
Zu dritt saßen wir in der Sandmulde und aßen schweigend die süßen Melonenstücke. Kein Wort der Entschuldigung kam über die Lippen meines Vaters. Ich hatte das Gefühl, dass er durch die Begegnung mit Ihnen daran erinnert wurde, dass er seinen Beruf nicht mochte, dass er die Familienbehaglichkeit plötzlich als Gegensatz zu den Dingen empfand, die ihn eigentlich berührten und begeisterten. Schließlich stand er auf und rannte wieder ins Meer. Er schwamm endlos weit hinaus; sein Kopf war irgendwann nur noch ein ferner schwarzer Punkt, der sich im Wasser leicht hob und senkte. Meine Mutter biss sich auf die Lippen und schloss die Augen. Als er
wieder erschien, hatte sich seine Stimmung gebessert; er drückte meine Mutter an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich saß neben den beiden und dachte daran, wie Sie gesagt hatten: »Eigentlich bist du ganz vernünftig.«
Nach dem Mittagessen wartete ich in der Lobby. Als Sie die Treppe herunterkamen mit Ihren schwarzen Sporthosen, dem weißen Shirt und den Nike-Turnschuhen in der Hand, nickten Sie mir aufmunternd zu. Ich sah Ihren sportlichen, durchtrainierten Körper und begriff, dass ich einen erfahrenen Läufer vor mir hatte.
»Du siehst ein bisschen erschöpft aus. Alles klar?«
»Das täuscht. Mir geht es bestens. Wir können sofort aufbrechen.« Ich hatte mir meine kurzen weißen Strandhosen und ein gelbes T-Shirt angezogen, meine Haare zu einem Zopf zusammengebunden und etwas von dem Parfüm, das mir meine Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte, auf den Hals gesprüht.
Sie legten die Schlüssel auf den Tresen, bedankten sich und drehten sich zu mir um.
»Wissen deine Eltern Bescheid?«
Ich hatte mir fest vorgenommen, Sie zu beeindrucken. Sie sollten sehen, dass ich kein Mädchen mehr war, das Ratschläge brauchte oder um Erlaubnis fragen musste. Ich nickte nur kurz und sagte: »Ich warne Sie, ich bin schnell.«
»Das musst du erst mal beweisen.«
Ich folgte Ihnen nach draußen in den Hof und sah, wie Sie die dort umherlaufenden Hunde streichelten.
Obwohl sie diesmal, wie von den anderen Gästen, keine Happen zugesteckt bekamen, blieben die Hunde geduldig stehen, rochen an Ihren Hosen und senkten den Kopf, sobald Ihre Hand das schmutzige Fell berührte. Dabei strichen Sie den Tieren langsam über den Hals und fuhren mit dem Daumen leicht an den Ohren entlang.
Dann verließen wir das Hotelgelände und bogen auf einen schmalen, staubigen Sandpfad ein, der parallel zum Strand in das nächstgelegene Dorf führte.
Sie liefen schnell. Ich sah eine Zeit lang nur Ihren Rücken mit den großen Schweißflecken auf dem T-Shirt. Es
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