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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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oder dass mir überhaupt irgendeine Gefahr von ihnen drohte, hatte ich ein komisches Gefühl im Magen. Vielleicht lag es auch daran, dass in diesem Moment das Licht als ein dämmernder Dunst auf den Pfad niederging und die Männer in verhüllte Schemen verwandelte, die langsam näher rückten, in einer schwebenden, bedrohlichen Langsamkeit. Ich drehte mich um und wollte den Weg zurückgehen, den ich gekommen war, doch die Jungen versperrten mir den Durchgang.
    Sie sollten auf keinen Fall merken, dass sie mir Furcht einflößten.
    Ich ging einfach gerade auf sie zu. Der Junge rief mir verächtlich etwas in seiner Sprache entgegen - dabei hielt er seine Hände ausgestreckt, als würde er eine Pistole halten und abdrücken, mehrfach hintereinander. In diesem Augenblick tauchte der Mann im traditionellen Gewand neben mir auf - ich konnte kaum fassen, wie schnell er die Distanz vom Pfad zu mir zurückgelegt hatte - und schlug einmal kurz in das Gesicht des Jungen, sodass er zu Boden ging und sich verkrampft die Wange hielt.
    Kein Ton war zu hören. Kein Wimmern des Jungen, nicht mal ein schmerzerfülltes Stöhnen, aber auch kein Schimpfen, keine Ermahnung, kein einziges Wort aufseiten des Mannes.

    Die anderen Jungs rannten auseinander, und ich begann ebenfalls loszulaufen, weg von diesem Ort. Als ich im Hotel angekommen war, lief ich Tamir in die Arme.
    Ich erzählte, was passiert war.
    Er lachte. »Vielleicht war es sein Vater. Die Leute leben hier von den Touristen. Die können es sich nicht leisten, dass ihr Angst habt.«
    Ich sagte ihm, dass ich nicht glaube, der Mann habe etwas mit dem Tourismusgewerbe zu tun. Tamir winkte ab. »Glaubst du, alle schlagen hier gleich zu? Was habt ihr denn für eine Meinung von uns?«
    Er schlenderte zur Bar und besorgte mir ein Glas Eistee. Mich hatte die Wucht des Schlags erschreckt, der auf den Jungen niedergegangen war - in diesem Schlag steckte nichts von einem helfenden Eingreifen oder einer strengen Bestrafung für schlechtes Benehmen. Ich hatte vielmehr das merkwürdige Gefühl, dass der Schlag eigentlich mir gegolten hatte. Er war aus dem Nichts mit einer solchen Heftigkeit ausgeführt worden, dass meine Furcht vor diesem Mann weitaus größer war als die vor dem hasserfüllt blickenden Jungen.
    Wenig später sah ich in der erleuchteten Garageneinfahrt des Hotels den Mann noch einmal. Er stand dort redend und gestikulierend in einer Gruppe von Hotelangestellten, die einen kleinen Transportwagen umringten; er lachte und sprach schnell mit einer rauen, tiefen Stimme - als er mich im Eingangsbereich entdeckte, blickte er durch mich hindurch, als
sei ich eine ihm vollkommen unbekannte Person, eine Fremde, die er noch nie hier gesehen hatte. Damals dachte ich nur, dass Tamir recht gehabt hatte - er gehörte zum Dunstkreis des allgegenwärtigen Tourismusgeschäfts auf der Insel und hatte mit seiner Handlung geglaubt, für Ordnung zu sorgen. Später dachte ich, dass er ein Zeichen des Kommenden gewesen war, eine Warnung, die ich nicht erkannte hatte - wie hätte mir das auch gelingen können?
    Als ich zu meinen Eltern ins Zimmer kam, spürte ich, dass sie sich Sorgen gemacht hatten, aber beschlossen hatten, kein Wort über mein langes Wegsein zu verlieren. Mein Vater stand im Bad, rasierte sich und zog sich ein weißes Hemd an. Meine Mutter drückte mich fest an sich. Ich bemerkte, dass sie sich geschminkt und ihr teures Parfüm aufgelegt hatte. Sie setzte sich aufs Bett und gab mir ein Zeichen, mich neben sie zu setzen. Sie lächelte.
    »Wo warst du?«
    »Ein bisschen spazieren.«
    Mein Vater knöpfte sich das Hemd zu und fragte mit einem leicht ironischen Ton: »Willst du den Abend mit uns verbringen? Man muss ja neuerdings anfragen bei der erwachsenen Tochter.«
    »Was habt ihr denn vor?«
    »Unser neuer Bekannter hat uns zu einem Fest eingeladen. Du weißt doch, er interviewt diesen Schriftsteller. Der hat ihm die Einladung besorgt, und wir können mitkommen. Er sagte, du sollst unbedingt dabei sein.«

    Ich erschrak. Wie schnell hatten Sie reagiert! »Wann geht es los? Das ist eine ziemlich spontane Einladung.«
    »Er holt uns in einer halben Stunde mit einem Mietwagen vor dem Hotel ab.«
    Ich ging in mein Zimmer, duschte mich und zog mir eine Jeans und eine weiße dünne Sommerjacke an. Die ganze Zeit dachte ich an Sie - und daran, dass meine Mutter mit Sicherheit merken würde, wie aufgeregt ich war.
    Pünktlich standen Sie auf dem Hotelparkplatz neben einem blauen Toyota. In

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