Das Wuestenhaus
Frau auf der Hochzeit von Freunden in Venedig, lachend, die Gesichter eng aneinandergeschmiegt, beide mit einem blauen Seidenschal um den Hals. Maja als Achtjährige im roten T-Shirt mit ihren damals langen, tiefbraunen Haaren auf einer Schaukel sitzend, daneben ihr Vater mit einer Zigarette in der Hand. Er hält Maja am Rücken fest. Jahrelang
war an den Bildern nichts verändert worden. Sie standen in dieser Küche wie festgeklebt.
Maja ging durch den Garten und rauchte eine Zigarette. Ich fuhr rasch zu einem Supermarkt in der Nähe, besorgte Brot, Nudeln, Tomaten, Salz, eine Flasche Wein, Wasser und Bier; dann kochte ich uns auf dem Spirituskocher, der unter der Spüle stand, ein provisorisches Abendessen, das wir im Garten an einem vom Cellophan wieder befreiten Tisch einnahmen.
Maja hatte im Haus noch einen alten Kerzenstumpen gefunden; die Flamme erhellte nur schwach die Teller; daneben legte sie ihr Mobiltelefon, aus dem ein Stück alter Musik erklang. »Das ist aus den ›Brandenburgischen Konzerten‹. Das Allegro aus dem vierten Konzert.« Sie drehte, in Gedanken versunken, die Nudeln auf ihrem Löffel. »Dieses Stück gehört genau hierher. In diesen Garten.«
Ich empfand die Musik wie einen störenden Lärm in der abendlichen Stille.
Wieder sah Maja mich mit ihrem eindringlichen Blick an.
»Ich will dich etwas fragen. Glaubst du, dass Häuser etwas Lebendiges sind, ich meine, dass sie ein eigenes Leben und Erinnerungen haben?«
»Jedenfalls können sie Geräusche machen wie ein Mensch.«
»Ich meine es ernst.«
»Maja, was soll die Frage? Du weißt, ich bin zu rational für solche Dinge. Oder meinst du, es gehen hier Geister umher? Wir leben in unseren Häusern,
und deswegen sind sie uns vertraut. Was sollen sie für ein Eigenleben haben?«
»Immer wenn ich hier bin, fühle ich mich von diesem Haus beschützt, obwohl ich weiß, dass ich nie mehr hier leben werde.«
»Das ist ganz normal. Du bist hier aufgewachsen.«
Maja drückte auf eine der Tasten ihres Telefons und stoppte die Musik. »Ich gehe schlafen.«
Es war kühl geworden. Ich stand auf und schaffte die Teller in die Küche. Das Rufen eines Käuzchens war zu hören. Dann holte ich Wasser aus der Tonne, um abzuspülen. Als ich zurückkam, um den Tisch und die Stühle hereinzuholen, war Maja verschwunden. Ich stieß einen kurzen Pfiff aus, aber ich erhielt keine Antwort.
Ich nahm das Feuerzeug vom Tisch und stieg ins Obergeschoss hinauf.
Im Arbeitszimmer meines Bruders, das als einziges Zimmer auf Majas Wunsch hin unangetastet geblieben war, schien das Licht einer Taschenlampe.
Maja saß auf dem Boden vor dem Schrank - der schwache Lichtschein fiel auf ihre Hände - und packte einzelne Steine aus der Vitrine in Krepppapier ein.
»Was machst du denn da?«, fragte ich sie.
»Ich packe die Steine ein. Ich will die Gegenstände aus der Vitrine mit nach Freiburg nehmen.«
»Du wolltest doch immer, dass alles in diesem Zimmer so bleibt, wie es ist.«
»Ich habe es mir anders überlegt. Sieh mal hier - erinnerst du dich noch an diese Figur?« Sie nahm
aus der Vitrine die Lieblingsskulptur meines Bruders, eine zerbrechliche Christusfigur aus Holz. Überall zeigte das ehemals grüne Gewand Risse und Kratzer in der abblätternden Farbschicht. Die halb geöffneten Augen wirkten in dem Schein des Lampenlichts beinahe lebendig.
Maja hielt die Figur auf ihrem Handteller wie ein Stück hauchdünnes Porzellan.
»Die Figur schläft«, sagte sie und sah mich dabei an, als ob sie Zustimmung erwartete.
»Die Augen sind doch geöffnet.«
»Für mich schläft sie trotzdem. In letzter Zeit habe ich immer wieder einen Traum, in dem sie auftaucht.«
»Traum?«
»Ich träume, dass jemand in das Haus einbricht, alle Fächer und Schubladen durchwühlt und am Ende, weil er nichts findet, zu der Vitrine geht, aus lauter Wut das Glas einschlägt, alle Gegenstände auf den Boden wirft und zertritt. In Paris habe ich auch davon geträumt. Deswegen wollte ich noch mal herkommen und sie mitnehmen.«
Sie holte nun ein Zellstofftaschentuch hervor und wickelte die Figur darin ein. Sie schloss das Taschentuch um den Körper der Holzfigur und strich die Enden fest wie bei einer Bandage.
Dann legte sie die eingepackten Steine in einen quadratischen Karton und obenauf die eingewickelte Figur. Sie löschte das Licht, und wir verharrten einen Moment regungslos in dem vollkommen finsteren Zimmer.
Später holte sie sich eine alte Matratze aus dem Keller und
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