Das Wuestenhaus
merkwürdig lange, ausführliche Brief von ihrem Onkel, den er nicht mal kannte und der glaubte, Majas Verhalten rechtfertigen zu müssen.
Die Bäume im Hof trugen immer noch kräftig grüne Blätter, obgleich einige von ihnen an den Rändern schon bräunlich zu werden begannen. Es wurde kälter. In der Restaurantküche sah er die Leute, die nun die in Cellophanfolie eingehüllten Platten vom Mittagsbüfett abräumten und durch das Fenster mit den Männern des Transportdienstes redeten. Er erinnerte sich, dass er noch vor Kurzem daran gedacht hatte, in einem Zustand der Zuverlässigkeit angekommen zu sein, hier, an diesem vertrauten Ort, umgeben von seinen Sachen, den Bildern an der Wand, den in der Ecke aufgestapelten Exemplaren seines neuen Buches.
Stattdessen hatte er nach dem Treffen mit Maja wichtige Termine abgesagt, hatte sich eine Pressekarte für die Ausstellung besorgt und sich bei den Behörden in Paris gemeldet, um seinen Aufenthalt in dem Hotel zu Protokoll zu geben. Ohne lange zu überlegen, war er mit dem Nachtzug nach Frankreich gefahren (die merkwürdigen Träume in dem leeren Abteil, die Strommasten am Morgen, der Duft nach Kaffee in der Bahnhofshalle). Ihm fielen die verwunderten Fragen der Beamten ein - »Warum melden Sie sich erst jetzt bei uns, wenige Monate vor dem Prozess?« -, ihre Blicke, wie sie lustlos seine Aussagen aufzeichneten und ihm mit noch größerer Gleichgültigkeit die Bilder vorlegten, zu denen er ebenso wenig sagen konnte wie Maja. Wie überflüssig und fehl am Platz war er sich in diesen Räumen vorgekommen. Welche Zeitverschwendung mochten ihm die Vernehmer insgeheim vorgeworfen haben, als sie ihn händeschüttelnd in die
Gänge dieses verschlungenen Großtraktes entließen. Schließlich hatte er Maja angerufen, nachdem er sie am Vormittag auf der Treppe im Foyer des großen steinernen Gebäudes mit den ausladenden Portaltreppen gesehen hatte.
»Kannst du dich mit mir treffen? Jetzt?«
Sie hatten sich in der Nähe des Vernehmungsgebäudes in einem Park verabredet.
Er sah alles wieder genau vor sich.
Sie war in einem gelben T-Shirt auf dem Platz erschienen, aufrecht und selbstbewusst. Sie begrüßte ihn und gab sich Mühe, so zu tun, als sei dieses Treffen etwas vollkommen Selbstverständliches, ein Wiedersehen ohne Missverständnisse. Er zog seine Jacke aus und nahm die Sonnenbrille ab.
»Woher kennst du diesen Park?«
»Der Park ist ein Versteck.«
»Ein Versteck. Wer war eigentlich der Mann vorhin in dem Vernehmungsgebäude?«
»Der Bruder meines Vaters, Bernhard.«
»Weiß er, dass du dich mit mir triffst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er würde es nicht verstehen.«
Er berührte sie leicht am Arm. »Ich habe eine Aussage bei den Behörden gemacht. Mehr als zu erzählen, dass ich damals mit euch in diesem Hotel war, konnte ich nicht tun. Sie stehen nun kurz vor der Anklageerhebung. Sie wirken ziemlich nervös.«
»Haben sie dir auch die Bilder gezeigt?«
»Nur von dem Haus.«
Plötzlich, vollkommen unerwartet, legte sie für einen kurzen Moment ihren Kopf auf seine Schulter. Verwirrt erwiderte er die Berührung, wobei er sein Gesicht an ihren Kopf drückte.
Er konnte auch jetzt noch ihren Geruch aufrufen, als ob sie vor ihm, ganz nah, im Raum stünde.
»Es ist nicht gut, dass du nach Paris gekommen bist.« Langsam löste sie sich wieder von ihm.
»Warum?«
»Weil ich mich plötzlich nicht mehr so fremd in dieser Stadt fühle.«
»Gehen wir ein Stück?«
Sie nickte, und er dachte einen Augenblick daran, seinen Arm um ihre Schulter zu legen. Wie sehr hatte er sich in diesem Moment gewünscht, er hätte Maja an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit kennengelernt.
»Ich habe mit einem Kollegen in Tunis telefoniert - du erinnerst dich an den Mann auf dem Fest, auf dem wir damals waren? Er ist ab und zu noch auf der Insel. Niemand von den damaligen Angestellten arbeitet noch in dem Hotel, in dem wir waren. Irgendeine britische Firma hat das Hotel gekauft. Keiner der Leute, die er auf der Insel kennt, ist bereit, auch nur noch ein einziges Wort über die Geschichte zu verlieren. Er ist sich sicher, sie haben die Richtigen gefasst.«
»An deren Stelle würde ich auch nichts mehr sagen.«
»Ich bin nicht wegen des Prozesses hier, Maja.«
Sie schüttelte abwehrend den Kopf und meinte leise, fast so, als sage sie den Satz nur zu sich selbst: »Du musst dich nicht um mich kümmern.«
»Darum geht es nicht.«
Sie sprachen in der Folge kaum ein Wort
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