Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
Vom Netzwerk:
nicht«, sagte mein Vater.
    Er stand auf, lief durch mein Zimmer, klopfte mit dem Handrücken an die Taschenbücher in dem hölzernen Bücherregal und sagte: »Du hast 'ne ganze Menge Taschenbücher hier!«
    »Willst du jetzt ein Butterbrot?« fragte meine Mutter ihn.
    »Ja und ob«, sagte er.
    Meine Mutter öffnete die beiden Butterbrotdosen. Mein Vater nahm eins, legte es auf den Tisch. Meine Mutter tat dasselbe, und dann falteten beide die Hände, und mein Vater betete laut:
    »Speise, Vater, deine Kinder
    tröste die betrübten Sünder, sprich den Segen zu den Gaben, welche wir jetzt vor uns haben, daß sie uns zu diesem Leben
    Stärke, Kraft und Nahrung geben, bis wir endlich mit den Frommen
    zu dem Himmelsmahle kommen, Amen.«
    »Also, guten Appetit«, sagte meine Mutter.
    Eine Fliege lief über den Tisch zu den Butterbrotdosen. Mein Vater krümmte seine Hand, legte sie auf den Tisch, holte aus, schloß die Faust und zermalmte die Fliege.
    »Gekriegt«, sagte er zufrieden.
    Die Türglocke klang durchs Haus. Gleich darauf rief meine Vermieterin: »Mijnheer Goudveyl, Besuch für Sie!«
    »Was für ein Zulauf«, sagte mein Vater.
    »Das paßt bestens«, sagte meine Mutter, »dann gehen wir so ganz sutje mal wieder zum Zug.«
    Sie standen auf. Meine Mutter sagte zu meinem Vater, während sie die Thermoskannen, Butterbrotdosen und Becher in ihrer Tasche verstaute: »Haben wir nun eigentlich alles gesagt?«
    »Wir haben reichlich genug gesagt«, sagte mein Vater, »und den Rest können wir uns für ein anderes Mal aufsparen.«
    »Ja, aber meiner Meinung nach...«, sagte meine Mutter, »wir hatten doch eigentlich vor...«
    »Ja, aber ich hab dir doch gesagt, daß er das längst weiß.«
    »Glaub ich überhaupt nicht!«
    Es klopfte an der Tür. »Ja«, rief ich. William kam herein, und mein Vater sagte: »Hallo, das ist ja ein bekanntes Gesicht! Gehst du inzwischen auch hier zur Schule?«
    William nickte.
    »Und ihr wollt jetzt zusammen loslegen? Das paßt bestens, wir gehen gerade weg.«
    Auf den beiden Treppen nach unten ging ich ihnen voraus. Flink traten sie aus der Tür und die Stufen hinunter. Mein Vater sagte, als er schon auf dem Kopfsteinpflaster stand: »Ich hoffe, daß du dir hier kein Mädchen aussuchst. Was ich so an hittepetitjes herumlaufen sehe, sind Klappergestelle. Die kannst du alle auf einmal so wegpusten. Nimm doch bitte ein hübsch kräftiges, stattliches, so eins, an dem du ein bißchen Halt findest. Ich wünschte, du würdest einmal eine ›Erneuerte‹ kennenlernen...«
    »Ach, komm jetzt, er hört doch nicht zu«, sagte meine Mutter.
    Wieder in meinem Zimmer, sah ich ihnen nach. Hurtig liefen sie übers Kopfsteinpflaster davon. Als sie um die Ecke Stille Rijn bogen, drehte ich mich um und sagte zu William: »Sie hatten ihren eigenen Kaffee in Thermosflaschen mitgebracht!«
    »Wollten sie mal sehen, wie du wohnst?«
    »Das haben sie gesagt, ja, aber sie kamen, glaube ich, um mir zu erzählen, daß sie während des Krieges den Lumpenhandel im Hoofd von einem Juden übernommen haben, der von den
    s Deutschen abgeholt worden i t. Wußtest du das eigentlich? Ich wußte es nicht, aber ich verstehe jetzt besser, warum sie im Hoofd überhaupt keine Freunde haben und warum manche Leute mich immer so abfällig ansehen.«
    »Wir wurden auch immer abschätzig angesehen. Werden, muß ich sagen.«
    »Ja, aber deine Mutter ist nicht verheiratet, das ist also nicht so merkwürdig, die Leute da sind unheimlich spießbürgerlich.«
    »Spießbürgerlich? Findest du das? Das ist nicht der richtige Ausdruck. Du könntest eher sagen: beschränkt. Oder nein, das ist es auch nicht, die Menschen dort sind sehr herzlich, viel herzlicher und gemütlicher als hier in Leiden. Aber ihre Welt ist klein, sie haben immer zwischen Fluß und Bahnübergang gewohnt, sie haben den Fluß nie überquert und den Bahnübergang nur selten. Dadurch können sie vieles nicht verstehen. Für sie ist eine unverheiratete Mutter eine rätselhafte Erscheinung. Davon haben sie eigentlich noch nie etwas gehört. Und eine Universität? Na, du hast gehört, was dein Vater sagte: ›Gehst du hier auch zur Schule?‹ Ist das spießbürgerlich? Ach, nein. Es ist Unbedarftheit, Unwissenheit. Spießbürgerlich, nein, das sind sie nicht, und daß sie deinen Vater und deine Mutter nicht akzeptieren konnten, weil sie das Geschäft von einem verschleppten jüdischen Lumpenhändler übernommen haben... wie hat er das eigentlich hingekriegt? Muß doch

Weitere Kostenlose Bücher