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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Mutter würde wie selbstverständlich die Tür öffnen, wie es auch selbstverständlich war, daß meine Klavierlehrerin die Haustür von oben aufzog, als ich bei ihr klingelte. Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich die Treppe hinauf, und außer Atem stammelte ich: »Ich komme, um meine Schulden zu bezahlen.«
    »Was sagst du?« fragte sie.
    »Ich will bezahlen«, sagte ich, »ich will alle Stunden bezahlen.«
    »So, so«, sagte sie, »womit hab ich das auf einmal verdient?«
    »Mein Vater hat mir... mein Vater hat mir...«
    »Setz dich erst mal hin«, sagte sie, »du kippst ja gleich aus den Pantinen!«
    Es tat mir gut, daß sie, obwohl sie nicht im Hoofd geboren und aufgewachsen war, die Sprache von hier benutzte. Sie ging in die Küche, ich hörte sie mit dem Kessel hantieren. Sie kam mit einem Tablett zurück, auf dem ein Teewärmer prangte. Sie stellte es hin, und sofort überreichte ich ihr einen Briefumschlag. Sie nahm ihn, sie sagte: »Es wäre gut für dich, wenn du jetzt einmal bei jemand anderem Unterricht nehmen würdest.«
    »Das wollte ich auch«, sagte ich.
    »Möchtest du die Kantate noch einmal hören, oder hast du nun selber die Platte und ein Grammophon gekauft?«
    »Da bringen Sie mich auf einen Gedanken...«, sagte ich.
    »Diese Platte ist sicher nicht mehr im Handel«, sagte sie.
    »Es ist wirklich sehr angenehm, Schulden zurückzahlen zu
    ehr können«, sagte ich. »Ich wollte, ich hätte noch m Schulden gehabt, noch etwas, das ich jemandem zu bezahlen hätte. Lieber so als andersherum. Beim Notar war noch ein Schuldschein von Vroombout. Mein Vater hatte ihm Geld geliehen, und Vroombout hat es niemals zurückgezahlt.«
    »Wozu erzählst du mir das?«
    »Ich habe in diesem Sommer bei Vroombouts Mutter ein Klavier gestimmt. Sie erzählte mir, daß ihr Sohn jedes Jahr einen Brief an Sie geschrieben habe, um daran zu erinnern, daß Sie noch das Geld für die Überfahrt zu bezahlen hätten.«
    »Verdammt noch mal, was ist denn nun los? Es war verabredet, daß wir Schiffer Vroombout zu bezahlen hätten, wenn wir in England angekommen wären. Aber wir sind niemals angekommen.«
    »Offenbar dachten die Vroombouts anders darüber. «
    »Allerdings, sie fanden, daß wir sie für den Verlust ihres Kutters entschädigen müßten. Als wenn wir den Kutter versenkt hätten!«
    »Stimmt es, daß Sie an dem Samstagnachmittag damals eine Verabredung mit Vroombout hatten, um mit ihm darüber zu sprechen?«
    »An welchem Samstagnachmittag?«
    »An dem Nachmittag, an dem Vroombout erschossen worden ist.«
    »Allmächtiger Gott, schnüffelst du etwa immer noch darin herum, hörst du denn nie damit auf? Was treibt dich eigentlich dazu?«
    »Hatten Sie damals eine Verabredung...«
    »Was geht dich das an? Warum willst du das wissen? Um Himmels willen, hör doch damit auf, es ist schon schlimm genug...«
    Sie schwieg.
    Ich sagte: »Ich bin dahintergekommen, daß Professor Edersheim und seine Frau an dem Nachmittag auch hier in der Stadt waren, und dieser Dirigent war vielleicht auch da.«
    Sie stand auf. Es war, als wolle sie mich zermalmen. Hastig sagte ich: »Ich verstehe nicht, warum Sie jedesmal so entsetzlich böse...«
    Weiter als »böse« kam ich nicht. Sie zog mich vom Stuhl, schob mich durchs Zimmer, sagte: »Geh, ich will dich nie mehr sehen, geh weg, ich bitte dich, geh!«
    Sie ließ mich los. Ich tat ein paar Schritte zur Zimmertür, drehte mich um, schaute ihr mitten ins Gesicht und sagte: »Sicher haben Sie gute Gründe dafür, daß Sie so böse werden. Vielleicht werden Sie so böse, weil Sie viel wissen und daher auch viel zu verbergen haben. Was Sie aber sicher nicht wissen:
    Daß der Mörder von Vroombout mich auch erschießen wollte. Das hat mich jahrelang verfolgt. Davon bin ich immer wieder schweißgebadet aufgewacht. Erst jetzt komme ich allmählich darüber hinweg, aber ich habe immer noch Angst, und unmittelbar nach dem Mord habe ich Todesangst ausgestanden. Wüßte ich, wer es getan hat, dann wüßte ich, vor wem ich Angst haben müßte, und das wäre ein großer Unterschied.«
    Sie schaute mich lange an, lief dann zum Erker und drückte ihre Stirn gegen das kalte Fensterglas. Zögernd ging ich zurück ins Zimmer.
    »Soll ich eine Tasse Tee einschenken?« fragte ich.
    »Ja«, murmelte sie.
    »Es scheint auf der Hand zu liegen«, sagte ich, während ich den Tee einschenkte, »daß Sie und die Edersheims und dieser Dirigent... oder vielleicht Minderhout als sein Sachwalter... Oh, das ist es

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