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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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zu«, sagte er.
    »Evangelische auch«, sagte ich.
    »Aber bitter wenig Heiden sind dabei, soweit ich das übersehen konnte«, sagte er.
    »Die englische Frau, die an der Burgemeester de Jonghkade wohnt, steht auch da«, sagte ich. »Und der Apotheker, der ist auch in keiner Kirche, genau wie diese Frau.«
    »Ach ja, Alice.« (Er sprach den Namen wie Eilies aus.) »Oh, aber die ist keine Ungläubige, die ist... die ist... ach komm, die ist bestimmt von irgendeiner englischen Kirche. Und Simon? Ist Simon ungläubig? Weißt du das bestimmt?«
    »Er gehört zu keiner Kirche, er kennt weder Gott noch Gebot, sagt mein Vater immer.«
    Wir hörten eine Weile zu. Vroombout sagte: »Was für ein Theater. Schon drei Monate steht hier alles kopf wegen dieser Evangelisationskampagne. Und guck dir das an: Kein Heide setzt dafür einen Fuß vor die Tür.«
    Everaarts sagte: »Und dann singen wir jetzt: Befiehl du deine Wege.«
    Hastig schoß ich ans Klavier. Diesmal konnte ich mich auf ein kurzes Vorspiel beschränken. Hinter mir wußte ich Vroombout. Während ich spielte, hörte ich ihn langsam näher kommen. Dann hörte ich andere Schritte; noch jemand kam ins Lagerhaus. Vroombout blieb unbeweglich bei dem schmalen Gang stehen, der zu unserem Wohnhaus führte. Der andere ging weiter. Ich hörte Vroombout verblüfft sagen: »Was tun Sie hier?«, und ich setzte mit dem Lied ein. Draußen wurde tatsächlich laut mitgesungen, und deshalb traute ich mich, etwas lauter zu spielen. Vielleicht waren es auch meine Unruhe, der Schreck wegen Vroombouts Erscheinen, was mich dazu brachte, einfach loszuhämmern. Schräg hinter mir ertönte ein scharfer Knall. Einen kurzen Augenblick dachte ich, daß mein Vater eine Papiertüte kaputtschlug, aber dann wurde mir klar, daß er woanders war. Nach dem Drehbuch der Kreuzzugskampagne sollte er schon bei den Ungläubigen vom Hoofd klingeln. Dann dachte ich: Ach, ein gassie hat einen Knallfrosch hereingeworfen. Unmittelbar nach dem Knall schien es, als fiele etwas um.
    Da ich das Lied auswendig spielte, konnte ich es mir leisten, mich kurz umzusehen. Vor der halbgeöffneten Lagerhaustür stand ein Mann. Er trug, tief in die Stirn gezogen, einen Schlapphut. Mit einem dunklen Schal hatte er seinen Mund bedeckt. Ich sah ihn dort stehen, sah seine glühenden, dunklen Augen, sah seine schweren Augenbrauen, sah auch die Gebärde, mit der er etwas auf mich richtete, sah auch, wie er mit der anderen Hand seinen Schal höher um seinen Mund zog.
    Warum erschrak ich da nicht? Wurde es mir damals einfach nicht klar, daß der Mann auf Vroombout geschossen hatte und möglicherweise noch einmal schießen würde? Konnte ich mir so
    ar etwas schlichtweg nicht vorstellen? Oder w ich, dank Moses und dem Schwimmbad, schon darauf vorbereitet? Würde ich, wenn ich mich damals wirklich erschrocken hätte, später weniger gelitten haben unter der Erinnerung an den flüchtigen Augenblick, als ich mich umblickte? Ich weiß nur, und daran erinnere ich mich genau, daß ich nicht erschrak. Auch weiß ich, daß ich sofort wieder auf die Tasten blickte und ruhig weiterspielte. Manchmal meine ich mich zu erinnern, daß ich damals gedacht haben muß: Solange ich spiele, kann er nicht schießen, denn dann merken sie draußen, daß das Klavierspiel auf einmal aufhört, aber ich bin mir dessen überhaupt nicht sicher, daß ich das wirklich gedacht habe. Daß auf Vroombout geschossen worden war, wußte ich da ja immer noch nicht. Allerdings erinnere ich mich sehr gut daran, daß ich ein endlos langes Nachspiel improvisierte und mich, während ich spielte, dauernd fragte: Wo ist Vroombout auf einmal abgeblieben?
    Als ich schließlich aufstand, war es dunkel im Lagerhaus, weil jemand die Türen zugezogen hatte. Auf dem Weg nach draußen stieß ich mit den Füßen gegen etwas, das nahe am Gang neben den beiden Särgen lag. Es war ein großer, dunkler Gegenstand. Da hatte doch vorher nichts gelegen? Vorsichtig bückte ich mich. Ich tastete mit meiner Hand nach unten. Meine Finger berührten rauhen Stoff. Höchst erstaunt trat ich ein paar Schritte zurück. Schnell lief ich zum Lichtschalter. Bevor ich allerdings Licht anmachte, war mir klar, wer da zwischen den beiden Särgen den Durchgang blockierte.
    Im Licht der Hängelampe sah alles gleich ganz anders aus. Vroombout lag reglos auf dem Bauch im Durchgang. Keinen Augenblick kam mir der Gedanke, daß er tot war.
    Eilig lief ich nach draußen. Die Gemüsekiste war schon weg. Everaarts war

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