Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
wieder dem Mond zu. »Das hat sie auch gesagt.«
In dieser Nacht saß Sebastian in der hintersten Nische des ruhigen, ziemlich heruntergekommenen Happy Daze Diner am Highway vor einer Tasse Kaffee. Das hatte er auch als Teenager häufig getan. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er jetzt keinen Stapel Bücher dabeihatte, in denen er damals bis tief in die Nacht hinein las. Abgesehen davon war er jetzt auch anständiger gekleidet und hatte keinen Lidstrich aufgetragen.
Sein Vater war Alkoholiker gewesen, und Sebastian war ihm nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen. Er hielt sich damals gern in diesem Diner am Highway auf, in den ihn schon seine Großtante als Kind ausgeführt hatte. Es war das einzige Restaurant gewesen, das sie sich leisten konnte. Und als Teenager saß er dann vor einer Tasse Kaffee und las Bücher, die er sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Erst wenn ihm die Augen zufielen, ging er nach Hause und legte sich auf einem Sofa auf der Veranda schlafen. So hatte er eine Chance, seinen Vater und dessen ewige Beleidigungen zu meiden. Er hatte, vor allem wenn er betrunken war, Sebastian häufig als Schwuchtel bezeichnet. Und am nächsten Morgen in der Schule bekam Sebastian dann Ähnliches zu hören.
»Hey, Baby«, sagte Lois und blieb vor seiner Nische stehen. »Ich dachte, vielleicht möchtest du gern ein Stück Kuchen.«
Sebastian lächelte sie an. Lois hatte hier schon bedient, als er noch ein Kind gewesen war. Mittlerweile war sie eine drahtige alte Frau mit geschminkten Lippen und einer schrägen blonden Perücke. Sie und noch eine andere ältere Frau waren die einzigen Bedienungen. Beide trugen blaue Polyesterkleider und weiße Rüschenschürzen. Es gab nicht viele Gäste, und die meisten waren über siebzig. Niemand schenkte ihm viel Beachtung, niemand störte ihn hier. Deshalb war ihm dieser Ort immer wie ein sicherer Hafen erschienen. Er hatte eigentlich gedacht, dass er mittlerweile darüber hinweg sei, doch offenbar war das ein Irrtum.
»Ich habe keinen Hunger, Lois. Trotzdem danke.«
»Iss«, sagte sie und schob ihm den Teller zu. »Du bist noch immer viel zu dürr. Das kannst du auch nicht mit deinen tollen Anzügen kaschieren.«
Sie marschierte davon. Ihre Gesundheitsschuhe quietschten auf dem rissigen Linoleumboden. Kuchen bedeutete für Lois Liebe, das wusste Sebastian durchaus zu schätzen. Als er vor ein paar Monaten hier aufgekreuzt war, hatten Lois und er ihre alten Gewohnheiten wieder aufgenommen. Sie versuchte immer noch, ihn zu füttern, er lehnte es immer noch ab. Sie ließ ihn immer noch so lange bleiben, wie er wollte. Anders war nur, dass er sich jetzt ein großzügigeres Trinkgeld leisten konnte.
Er schob den Kuchenteller weg und schaute auf sein Handy, das neben der Kaffeetasse lag.
Dann nahm er es und hörte sich noch einmal Paxtons Nachricht an.
»Hi, Sebastian. Ich bin’s. Ich habe dich ein paar Tage lang nicht gesehen.« Sie legte eine Pause ein. Sie rief ihn von ihrem Handy aus an, wahrscheinlich von unterwegs. Er hörte leise Verkehrsgeräusche. Sie fuhr, wie sie alles andere tat – selbstbewusst und zielstrebig. Ständig erledigte sie mehrere Dinge gleichzeitig. »Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut. Alles. Freitagnacht. Dass ich dich nicht angerufen habe, als ich betrunken war und Hilfe brauchte. Du bist aus dem Schneider, wenn du am Sonntag nicht mit zum Lunch und zu dem Konzert gehen willst. Ich weiß, dass du dir nicht viel aus klassischer Musik machst und nur mir zuliebe mitgekommen wärst. Aber … ruf mich doch mal an, nur damit ich weiß, dass es dir gut geht. Bye.«
Er legte das Handy wieder neben seine Kaffeetasse.
Eine Beziehung zu Paxton Osgood war das Letzte, mit dem er gerechnet hatte, als er nach Walls of Water zurückgekehrt war. Er hatte für diesen Schritt all seinen Mut zusammennehmen müssen. Aber als er erfuhr, dass Dr. Kostovo in Rente ging, war er davon überzeugt gewesen, dass es ein Zeichen war. Von Anfang an hatte er sich unverfroren in Kreise begeben, die ihn einst abgelehnt hatten. Diejenigen, die ihn noch von früher kannten, bedachten ihn manchmal mit einem schrägen Blick, aber alles in allem war es ihm leichtgefallen, hier seinen Platz zu finden. Leichter, als er erwartet hatte. Keiner sagte ihm, dass er nicht dazugehörte, und eben das hatte er gewollt. Dennoch fühlte es sich ganz anders an, als er gedacht hatte. Er hatte sich mit Arroganz und Verbitterung gewappnet, um sich dem zu stellen, was er
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