Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
beeindruckt an.
»Wieso macht sie das jetzt?«, wollte Gina wissen.
»Um ihr Englisch zu trainieren«, antwortete Jaeger. »Siewill nach New York, zur Highschool of Arts. Und ich denke, das könnte auch Ihr Lockmittel werden. Wenn Sie ihr das ermöglichen könnten, würde sie alles für Sie tun.«
»Wie sollen wir das machen?«, fragte Berit. »Wir sind da schließlich nicht im Aufnahmekomitee.«
»Natürlich nicht. Aber vielleicht können Sie ein Vorsprechen organisieren. Zumindest den Flug bezahlen – da würden Sie schon mit ihr einig werden«, meinte Jaeger.
Gina nickte. »Das würde gehen. Ich habe eine Bekannte in New York – du weißt schon, Berit, Melanie. Die diesen Psychoanalytiker geheiratet hat. – Die könnte das regeln und das Kind dann gleich psychologisch betreuen, falls es doch nicht klappt.«
»Gut. Wir probieren es mit Claudia. Wo können wir mit ihr reden?«
Sie trafen Claudia in Jaegers Büro. Der Pastor hatte Berit und Gina so unauffällig wie möglich aus dem Saal geschoben und sein Zuspätkommen vor der Theatergruppe entschuldigt. Während die Schüler darum stritten, wer als Nächster auf die Bühne durfte, schickte er Claudia in sein Arbeitszimmer. Das blonde Mädchen hörte sich Berits und Ginas Lob für ihre Lady Macbeth geschmeichelt an und lauschte dann ruhig, aber etwas ungläubig ihren vorsichtigen Erläuterungen.
»Ist ja ein Ding«, sagte sie schließlich. »Ich soll also so was wie eine Heilige spielen? Wie die Johanna von Orleans? ›Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften …‹« Claudia warf sich sogleich in Positur.
»So was in der Art«, stoppte Berit sie, bevor sie den gesamten Monolog herunterrappeln konnte. »Zwischen Heiligsprechen und Scheiterhaufen kommt schon hin. Im Ernst, Claudia, du musst dir das gut überlegen. Es geht hier nicht um eine Rolle, die schnell abgespielt ist. Du musst die Seherin wirklich glaubhaft machen, du darfst niemanden unter dem Siegel derVerschwiegenheit einweihen, nicht mal deine Eltern, du wirst …«
»Für meine Eltern wird das ein Hammer«, sagte Claudia träumerisch, und ein zartes Lächeln schlich um ihre Mundwinkel.
Berit überlegte, in welchem Stück wohl Gatten- oder Vatermord eine Rolle spielte. Mit diesem Blick wäre Claudia hier die Idealbesetzung.
»Claudia, die Seherin. So heißt es doch, oder? Mein Alter wird ausflippen!«
»So heißt es«, Gina nickte. »Aber es ist wirklich kein Spaß, Claudia. Du musst dir unsere Unterlagen über deine Vorgänger aufmerksam durchlesen, und wir haben alles Verständnis der Welt, wenn du dann doch nicht willst. Ach ja, und du wirst dein Outfit ändern müssen.«
Claudia nickte. »Klar. Schon verstanden. Mache ich gleich. Morgen ist die Generalprobe für Grease und übermorgen die Vorstellung. Für die Sandy muss ich sowieso brav aussehen. Da wird sich keiner wundern.«
Das Kind denkt mit, dachte Gina bewundernd. Vielleicht hatten sie da ja wirklich das ganz große Los gezogen.
»Ach ja, noch was, Claudia«, meinte Berit. »Was Wichtiges. Du kannst diese Sache nicht allein durchziehen. Im Allgemeinen erscheint die Madonna mehreren Kindern, das kann man überall nachlesen. Weißt du vielleicht jemanden, der noch mitmachen könnte? Am besten eine Freundin, eine, mit der du dich wirklich gut verstehst?«
Zu ihrer Überraschung nickte Claudia auf Anhieb und strahlte dabei. Bisher hatte sie stets etwas mürrisch und bemüht sophisticated dreingesehen. Berit und Gina waren überrascht, wie sehr das offene und erwartungsvolle Lächeln ihr Gesicht veränderte. Trotz der Schminke wirkte es sanfter und fast kindlich.
»Meine Freundin Sophie. Ich wollte eben schon fragen, obsie nicht mitmachen kann. Aber dann dachte ich, dass man das doch nicht macht, beim Theater. Anderen eine Rolle beschaffen, meine ich. Stars sind selbstsüchtig.«
Berit und Gina lachten.
»Übertreiben brauchst du es nicht gleich«, meinte Gina. »Ich denke, auch in dem Geschäft zahlt es sich aus, wenn man manchmal nett ist. Und schließlich kannst du nicht alle Frauenrollen selber spielen.«
»Siehst du Sophie denn als ernsthafte Konkurrentin?«, fragte Berit. »Pastor Jaeger hat gar nichts von ihr erzählt. Spielt sie überhaupt Theater? Will sie auch nach New York?«
Claudia schüttelte den Kopf. »Sophie tanzt. Und eigentlich will sie nach Paris. Die großen New Yorker Tanzschulen nehmen sie noch nicht mit dreizehn. Aber in Paris an der Oper könnte sie nebenbei zur Schule gehen.«
Berit nickte.
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