Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
verzaubert. Sie verstanden beide nicht viel von Ballett, aber dass dies nicht das Herumgehüpfe eines Schulmädchens mit rosa Karriereträumen war, konnte jeder Laie erkennen. Sophie war zweifellos begabt.
Claudia, eindeutig nicht anfällig für Verzauberungen, unterbrach ihr bewunderndes Staunen und Sophies Konzentration, indem sie auf den Lichtschalter drückte.
»Was tanzt du denn hier im Halbdunkel?«, fragte sie. »Müsst ihr jetzt auch noch Strom sparen?«
Sophie wandte sich um und verwandelte sich dabei von der Elfe in einen ganz normalen Teenager.
»Wie siehst du denn aus?«, quietschte sie zur Begrüßung ihrer Freundin. »Genau wie Olivia Newton-John! Ist das für Grease? Geil!«
Berit zuckte zusammen. Das Wort würde Sophie sich abgewöhnen müssen.
»Auch«, meinte Claudia. »Aber da ist noch so ’ne Rolle. Erzähl ich dir gleich. Sagen Sie mal …« Das Mädchen wandte sich an Berit und Gina. »Wenn Sie Sophie doch jetzt gesehen haben und sie Ihnen so weit gefällt, kann ich ihr das mit der Rolle nicht allein beibiegen? Wir könnten dann auch Ihre Mappe lesen und gemeinsam darüber entscheiden. Ich meine, ich bin sicher, Sophie wird es machen, aber …«
»Was werde ich machen?«, fragte Sophie verwirrt. Sie nahm die Besucherinnen jetzt erst richtig wahr. Das Mädchen beeilte sich, seine verschwitzten Hände am Trikot abzuwischen und Berit und Gina artig zu begrüßen.
»Berit Mohn und Gina Landruh, Werbeagentur BeGin «, stellte Gina sie beide vor.
»Ich bin Sophie Becker«, sagte die kleine Tänzerin. »Machen Sie demnächst Werbung für die Tanzschule? Das könnte sie brauchen. Frau Kronhage hat viel zu wenig Schüler, deshalb ist auch nie Geld da, um hier zu renovieren.« Sie umfasste die gesamte Schule in einer anmutigen Handbewegung.
»Nö, die sind wegen dir da«, erklärte Claudia kurz. »Die sind – halt dich fest! – sozusagen deine Fahrkarte nach Paris. Was ist denn jetzt? Soll ich es ihr sagen oder wollen Sie?«
Berit und Gina sahen einander an. Inzwischen kannten sieClaudia gut genug. Das Mädchen hatte unzweifelhaft Gründe für seine Intervention. Sophie war ein gänzlich anderer Typ als die entschlossene, karrierebewusste Claudia. Vermutlich musste sie überzeugt werden. Und das konnte die Freundin sicher besser als Berit und Gina.
»Gut«, entschied Gina. »Wir spendieren euch einen Hamburger. Aber nicht in Tatenbeck. Das Kaff hat mit Sicherheit, mindestens so viele Ohren wie Grauenfels. Wenn da jemand was aufschnappt, können wir’s gleich vergessen.«
»Hier gibt’s sowieso keine Hamburger«, meinte Claudia vergnügt. »Das nächste McDonald’s ist in Vierenhausen.«
Eine halbe Stunde später hatte Sophie sich geduscht und umgezogen. Sie kleidete sich tatsächlich deutlich mädchenhafter als Claudia. An ihrer dunklen Jeans und dem flauschigen Rollkragenpullover gab es nichts zu bemängeln. Die Mädchen waren auf den Rücksitz von Ginas Jeep geklettert und hatten den Freundinnen den Weg in die nächste Kreisstadt gewiesen. Ausgestattet mit einem großzügigen Spesenvorschuss, verschwanden die künftigen Seherinnen im Hamburgerlokal.
Berit und Gina wanderten etwas ziellos über den Rathausplatz.
»Was machen wir jetzt? Gehen wir einen Kaffee trinken? Auf das bisher doch recht erfolgversprechende Unternehmen?«, fragte Gina.
Als Berit nickte, steuerten sie einem Café auf der anderen Seite des Platzes zu. Von da aus hatten sie das McDonald’s- Restaurant gut im Blick.
Vor dem Café trafen sie überraschend Pastor Jaeger in Begleitung eines blonden, braun gebrannten jungen Mannes.
»He, wo kommen Sie denn auf einmal her? Verfolgen Sie uns?«, fragte Berit den Priester lachend.
Jaeger schüttelte den Kopf. »Aber nicht doch. Ich bindienstags immer hier, sobald das Jugendzentrum schließt. Dienstags hat das Kreiskrankenhaus längere Besuchszeiten, da kann ich ganz entspannt bei den angeschlagenen Schäfchen aus meiner Gemeinde vorbeischauen. Darf ich bekannt machen: Doktor Klaus Dieter Hoffmann, ein Freund von mir. Hat in Grauenfels eine Arztpraxis und hier ein paar Belegbetten. Klaus, das sind Frau Mohn und Frau Landruh. Die künftigen … hm … Medienreferentinnen von Grauenfels.«
Der junge Arzt grüßte herzlich. Er sah geradezu verteufelt gut aus. Berit setzte den Princess-Diana-Blick auf.
»Ganz schön viel zu tun in so einer Pfarrstelle«, bemerkte sie. »Hätte ich gar nicht gedacht. Haben Sie beide Lust, einen Kaffee mit uns zu trinken? Wir warten auf
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