Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
glatt gesegnet. Der Jaeger ist auf unserer Seite. Der macht alles für Grauenfels.«
*
»Also aus vollem Herzen gutheißen kann ich die Geschichte nicht«, sagte Pastor Jaeger, als er Gina und Berit im Büro seines Pfarrzentrums begrüßte. Der junge Pfarrer war den beiden auf Anhieb sympathisch. Pastor Jaeger trug Jeans und Sweatshirt und war mit einer Haartracht gesegnet, die ihn in jedem Passionsspiel zum Jesusdarsteller prädestiniert hätte. Er bändigte seine Locken mit einer Haarspange im Nacken.
»Moralisch ist es an sich untragbar«, fuhr der Geistliche fort. »Und mit meinem Glauben natürlich unvereinbar. Aber andererseits: Die Idee ist genial! Es ist wohl auch die letzte Rettung für Grauenfels!« Jaeger raufte sich ein bisschen die Haare und zog sie dabei fast aus dem Pferdeschwanz. »Wissen Sie, Sie sind ja nicht die Ersten, die sich über diesen Ort Gedanken machen. Wir alle haben hin und her überlegt. Die Menschen hier sind so verzweifelt, die wollten sogar die Atomindustrie herlocken. Dagegen ist eine Marienerscheinung …«
»Erheblich umweltverträglicher.« Gina grinste. »Auch wenn Sie natürlich mit ein bisschen Müll im Wald rechnen müssen. Kommt Maria, kommt auch McDonald’s. Da müssen Sie drauf gefasst sein.«
Jaeger strahlte. »Müll im Wald! Sie glauben ja gar nicht, wie mich das freuen würde. Letztes Jahr habe ich mit meinem Jugendclub eine Umweltaktion durchgeführt. ›Unser Wald soll sauber werden‹, so Müllsammeln im Wäldchen. Wir waren nach einer halben Stunde fertig. Und gefunden haben wir zwei Colaflaschen. Da war sogar noch Pfand drauf. Nein, von mir aus … die sind alle willkommen: McDonald’s, Pizza Hut, Burger King …«
»Lasset die Kindlein zu mir kommen«, rutschte es Berit heraus.
»Nicht schon wieder!«, zischte Gina. »Den Slogan verkaufen wir McDonald’s erst, wenn das Ganze läuft.«
»Und bis dahin steht natürlich noch viel Arbeit an«, meintePastor Jaeger. Von seinen Hamburgerträumen abgesehen, schien er ein sehr realistischer Mensch zu sein. »Barhaupt sagte, Sie suchen ein Mädchen. Eine gute Schauspielerin. Und da habe ich natürlich auch mit mir gerungen. Einerseits werden Sie das Kind zum Lügen anstiften. Das kann ich eigentlich nicht unterstützen. Aber andererseits: Wenn Claudia nicht bald jemand hier herausholt, dann wird ihr wahrscheinlich etwas viel Schlimmeres geschehen. Das Mädchen wird nicht in Grauenfels bleiben und um eine Chance beten. Sie wird dem erstbesten Mann nachlaufen, der ihr eine Rolle verspricht. Rennt ja jetzt schon dauernd mit diesen Teeny-Magazinen herum und schwärmt von Castings …«
»Das heißt, Sie hätten schon ein Mädchen im Auge?« Gina unterbrach Jaeger.
Der Pastor nickte. »Ja. Ein außergewöhnliches Talent. Ein Glücksfall für Sie. Claudia Martens. Sie hat das Zeug zu einem Star. Talent, Härte, Ehrgeiz – auch ihr Aussehen ist nicht schlecht, wenn sie nicht gerade … aber das sehen Sie ja gleich. Jedenfalls ist alles da. Nur in Grauenfels nützt ihr das nichts, und das weiß sie natürlich. Sie will weg hier. Lieber heute als morgen. Wenn Sie ihr versprechen, das zu organisieren, wird sie alles für Sie tun.«
Gina guckte etwas skeptisch. So viel Begeisterung war fast zu stark für ihren Geschmack. Ob der Pastor in diese Claudia verliebt war?
»Wie alt ist sie?«, fragte sie.
»Gerade dreizehn geworden. Klar, etwas jünger wäre besser für Sie. Aber ich bezweifle, dass Sie da ein zuverlässiges Kind finden. Um richtig mitzumachen, müssen die schließlich verstehen, worum es geht. Und Claudia schafft es sicher, jünger auszusehen.« Jaeger war fest überzeugt von seiner Entdeckung.
»Und wann können wir uns das Wunderkind ansehen?«, erkundigte sich Berit.
»Gleich. Deshalb habe ich Sie ja hergebeten. Die Theatergruppe tagt heute Nachmittag. Das Thema heißt ›Große Monologe‹. Wissen Sie, ich will mit den Kids nicht einfach nur ein Stück einstudieren. Das machen wir natürlich auch, wir proben zurzeit Grease. Claudia spielt natürlich die Sandy. Aber einmal im Monat beschäftigen wir uns auch mit der Klassik. Für heute hatte jeder die Aufgabe, sich einen Monolog aus den großen Shakespeare’schen oder Schiller’schen Dramen auszusuchen und vorzutragen. Haben natürlich höchstens drei oder vier gemacht … die mit Ambitionen, die mal zur Schauspielschule wollen. Aber Claudia hat garantiert was vorbereitet. Wenn wir Glück haben, zeigt sie uns die Jungfrau von Orleans. Sie hat ein
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