Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
beiden Frauen sagten allerdings nichts, um die ohnehin angespannte Atmosphäre nicht noch mehr zu belasten.
Alle vier warteten im evangelischen Gemeindezentrum auf ein Treffen mit dem Pfarrer von Tatenbeck, der sich jetzt allerdings schon um eine Viertelstunde verspätete. Die Ortswahl war das Ergebnis längerer und diplomatisch höchst anspruchsvoller Verhandlungen. Claudia und Sophie hatten auf BeGins Ratschlag hin abgelehnt, sich zwecks »hochnotpeinlicher« Befragung in Herbergers Pfarrhaus zu begeben. Claudias konstruktiver, wenn auch nicht ganz selbstloser Gegenvorschlag, das McDonald’s in Vierenhausen als Treffpunkt zu wählen, war dagegen von Herberger abgeschmettert worden. Es grenze an Blasphemie, erklärte er, zwischen Mayonnaiseresten und Pommes frites über die Jungfrau zu reden.
»Woher weiß er, wie MM zu Restaurantketten steht?«, fragte Berit, als Barhaupt grinsend davon erzählte. »Wenn ichan ihre letzte, katastrophale Herbergssuche denke … womöglich wäre sie ganz froh gewesen, wenn’s damals schon so was wie McDonald’s gegeben hätte … Könnte man übrigens herrliche Werbespots draus drehen! Da wandern Maria und Josef im Schneetreiben von einer miesen Bleibe zur anderen, und dann: ein ETAP Hotel!«
Gina kicherte. »Ich wage gar nicht dran zu denken, wie es sich auf unsere Weihnachtsbräuche ausgewirkt hätte, wenn sie dankbar die Möglichkeit aufgegriffen hätten, Sohnemanns Geburtstagsparty mit Ronald MacDonald zu feiern.«
Als Kompromiss hatte letztendlich Pastor Jaeger seine Räume zur Verfügung gestellt. Das passte Herberger zwar auch nicht besonders, aber andererseits brannte der Pfarrer erst recht nicht darauf, mit den beiden angeblichen Seherinnen in der Öffentlichkeit angetroffen zu werden. Schließlich brodelte es auch so schon genug in der Gemeinde Tatenbeck. Die Damen des Kirchenchores hatten die Geschichte der Marienerscheinung brühwarm unters Volk gebracht. Seitdem wurde Sophie auf dem Weg zur Ballettschule von neugierigen Blicken verfolgt. Bislang hatte jedoch niemand gewagt, sie anzusprechen. Trotzdem wurden die Mädchen zusehends nervös. Vor allem Sophie fürchtete das vor ihr liegende Gespräch mit dem Pfarrer. Einen vorher abgestimmten Text aufzusagen war eine Sache, das Verhör mit einem geweihten Heiligensachverständigen eine andere. Gina und Berit hatten sich insofern eingeschlichen, um den Mädchen Mut zu machen.
»Gebt euch ganz locker«, riet Gina ihnen gerade. »Der Typ ist nicht der Großinquisitor, ihr erzählt ihm einfach das Gleiche, was ihr auch dem Malteser Hilfsdienst gesagt habt.«
»Aber der kennt sich doch aus mit MM …«, wandte Sophie ein. Sie kaute abwesend an ihrem ordentlich geflochtenen, hüftlangen Zopf. »Was ist, wenn wir irgendwas Wichtiges vergessen haben?«
Berit schüttelte den Kopf – ihr Pony war heute Zuversichtlichhochgeföhnt. »Erstens habe ich nichts vergessen, und zweitens kennt sich niemand aus mit MM. Außer euch hat sie im Umkreis von fünfhundert Kilometern nie jemand gesehen, und die Tanten aus Marpingen zählen eh nicht, die sind nicht anerkannt. Also lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Was ihr gesehen habt, habt ihr gesehen. Und schließlich hat sie ja wirklich nichts Unpassendes gesagt …«
Trotz aller tröstenden Worte fuhren sowohl BeGin als auch die Mädchen zusammen, als Pastor Jaeger plötzlich die Tür öffnete. Die vier hatten in seinem Arbeitszimmer gewartet, und das Treffen mit Herberger war im Nebenraum geplant. Berit und Gina hofften, dabei etwas mithören zu können.
»Der Pfarrer wäre dann jetzt da«, meldete Pastor Jaeger mit etwas besorgtem Gesichtsausdruck. »Aber es tut mir Leid, er hat sich gleich Bernie geschnappt. War pures Pech, er lief ihm auf dem Flur über den Weg, als er von der Gruppenstunde kam. Jetzt hockt Herberger mit ihm im Computerraum. Am besten geht ihr da auch gleich hin und versucht, das Schlimmste abzuwenden.«
»Verflixt, hoffentlich reißt uns Bernie nicht rein!« Gina seufzte. »Und das Mithören können wir wohl auch vergessen …«
Über Pastor Jaegers angespanntes Gesicht zog sich ein Grinsen. »Also Ersteres kann natürlich passieren. Aber was Letzteres angeht … da ist der Computerraum wirklich der hellhörigste Ort im ganzen Zentrum.«
Der Pastor betätigte eine Lautsprechertaste.
»Ssöne lange Haare hatsie gehabt«, erklärte Bernie gerade. »Ganss lang. Un ein Kleid wie Ssneewitzchen … Weissichnichmehr wassie gesacht hat …«
»Donnerwetter!«,
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