Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Hochsitz im Grauenfelser Forst Stellung bezogen und betrachteten die Szenerie mit dem Fernglas. Außerdem waren sie per Handy mit Barhaupt verbunden und sollten Claudia das Startzeichen geben. »Womöglich regnet es gleich.«
»Warte noch. Gönn der Jungfrau ’ne Siesta. Dann kommen vielleicht noch ein paar Leute. So als Nachmittagsspaziergang vor dem Kaffeetrinken. Und das Wetter – das kann sogar noch regelrecht sonnig werden. Sieh mal!«
Wie auf Kommando wirbelten die Wolken am Himmel auseinander und ließen ein paar Sonnenstrahlen durch. Der gedämpfte Sonneneinfall tauchte den Erscheinungsplatz in ein seltsames, fast unwirkliches Licht. Außerdem regnete es jetzt anscheinend wirklich über Tatenbeck. Das Wolkenloch über Grauenfels ließ gerade genug Sonnenstrahlen durch, um einen Regenbogen über dem Wald aufsteigen zu lassen.
»Ist ja irre!«, murmelte Gina hingerissen. »Also Siesta hin, Siesta her, das Licht können wir uns nicht entgehen lassen.«
Ohne sich noch einmal mit Berit abzustimmen, drückte sie ein paar Tasten.
»Mary – go !«
*
Barhaupt auf der Lichtung schüttelte etwas irritiert das Handy. Dann suchte er aber doch Blickkontakt mit Claudia.
Das Mädchen reagierte sofort auf sein fast unmerkliches Nicken. »Das Licht!«, rief sie und machte ein paar Schritte auf eine von ihr imaginierte Erscheinung zu.
Sophie hob schützend die Hand vor die Augen. »Ich wusste, dass Sie wiederkommen!«, sagte sie mit süßester Stimme.
›MM, die Zweite‹ war angelaufen.
»Nein, ich möchte da jetzt nicht drüber reden«, murmelte Claudia mit leicht verdrehten Augen.
Die Mädchen taten so, als würden sie gerade aus tiefer Trance erwachen. Ein Reporter hielt ihnen ein Mikro vor die Nase. Barhaupt versuchte, ihn wegzuschieben.
»Das geht nun wirklich zu weit!«, erklärte er mit fast ehrlicher Entrüstung.
Sophie zitterte, als Doktor Hoffmann ihr aufhalf.
Nur Bernie zeigte sich bereits medientauglich.
»Ssöner Regenbogen«, verkündete er vergnügt. »Und ssöne Dame. Ganss viel bunt, unsso hell!«
Während die Mädchen sich Zeit nahmen, in die raue Wirklichkeit zurückzufinden, gab der Kleine eine erstaunlich detaillierte Beschreibung der Erscheinung.
Igor Barhaupt und Pastor Jaeger blieben dabei fast die Münder offen stehen. Es konnte nicht sein, dass Berit und Gina das behinderte Kind derart sicher instruiert hatten. Genau genommen war BeGin überhaupt nie mit dem Kleinen in Berührung gekommen. Dennoch schilderte Bernie das weiße Kleid der Dame und ihren blauen Schleier und bot dann freigebig an, vor versammelter Menge ein Gebet aufzusagen.
»Habich lernt. Von Sophie. Heisst ›Lieber Dott, mach mich vomm, dassich innen Himmel komm‹. Da willich aba ganich hin … Und dann kannich noch eins, aussem Kindagaten …«
Sophie, inzwischen entschlossen, die Trance abzubrechen und dafür Bernie zu bändigen, versuchte, ihren Bruder abzulenken, aber Bernie war jetzt nicht mehr zu bremsen. Er genoss sichtlich die allgemeine Aufmerksamkeit – und landete einen Überraschungserfolg.
Zur völligen Verblüffung der Organisatoren fielen gleich zwei Frauen in das Kindergebet ein, das der Kleine vergnügt intonierte. Danach erklang das erste »Ave Maria« in Grauenfelsund schallte bis zu Berits und Ginas Hochsitz hinauf.
*
»Alle Achtung! So schnell hätte ich da nicht mit gerechnet«, meinte Gina verblüfft, aber sehr zufrieden. »Die Mädchen müssen eine oscarreife Vorführung hingelegt haben.«
»Wenn ich die Jungfrau wäre, würde ich jetzt allerdings gleich wieder gehen«, bemerkte Berit und hielt sich die Ohren zu. »Wie kann man bloß in einem einzigen Lied so viele falsche Töne unterbringen?«
»Die Absicht zählt!«, grinste Gina. »Und spricht man nicht auch von der ›schmerzensreichen‹ Mutter Maria?«
*
Inzwischen gaben auch Claudia und Sophie die ersten Interviews. Sie sahen dabei höchst attraktiv aus. Claudia hatte ein paar sorgfältig drapierte Blätter im leicht verwirrten blonden Haar, Sophie schaute noch etwas himmlisch verklärt. Das Ganze hätte einer Filmszene entnommen sein können.
Sehr nett sei die Dame gewesen, versicherte Sophie.
»Und sie freute sich, dass wir gehorsam waren und ihren Worten gefolgt sind. Wir müssten aber noch viel mehr beten und uns mehr bemühen, das Gute in der Welt zu stärken.«
»Ich hab sie gefragt, warum sie damit zu uns kommt«, fügte Claudia hinzu, als ob ihre Frage nicht allgemein zu vernehmen gewesen wäre. »Ich meine, es
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